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English synopsis, The Beggar's Diary, 15.08.07. - After all the excitement yesterday, and the long night he spent preparing the revolution and meeting the Chilean resistance, Muenster's subculture leader, Charles Filch, is terribly sick. He can hardly walk, his stomach is a mess, and the possibility of having been poisoned by the enemies of the revolution is painfully real. But, perhaps, the real culprit is the cheap döner kebab he had for dinner yesterday, making the whole thing a lot less romantic. Going to the Spiekerhof is just unthinkable. He barely, miserably manages to make it to the bar "whose name he will not mention as long as he’s not allowed bathe in its bathtub once a week." Once there, a compassionate lady gives him some pills for the stomach. He swallows one and it works so wonderfully that he keeps the other two to sell them tomorrow at his stall.
He’s now feeling fit enough to read the newspaper—as a leader, he must keep himself informed about the latest news. But most of what he reads is astonishingly trivial. But not all of it: his eyes zoom in on the face of a suspect of a robbery committed yesterday at an old people's home, and there is no doubt: he was one of his accomplices in preparing the revolution yesterday, one of the two people who helped him hang all the revolutionary slogans at the Spiekerhof! (He was photographed for yesterday's post with the same shirt covering his face, following Comandante Marcos' paradigm.)
But how? Just how can that be? How can a petty thief be capable of the self-sacrifice, loyalty, and ethical grandness required for the revolution? He thinks suddenly of Andreas Baader.
As he cannot work today, he goes to a travel agency to find out about the possibilities of traveling to Rijeka. Remember? Yesterday he received a letter from that place, or about that place.
Rijeka turns out to be a beautiful seaport city in Croatia. To travel now would cost him 158,47 Euro; to travel on 1 October would cost him only 1 Eurocent.
No wonder. On the 1 October he could only travel there as a corpse.

15.8.2007 (Mittwoch)
Was ist mit Filch geschehen? Wird er alt? Oder ist es die Verantwortung, die er jetzt trägt? An diesem Morgen fühlt er sich miserabel. Es ist nicht eine seiner melancholischen Stimmungsschwankungen. Heute ist es ein banaler Grund. Der Magen und die Verdauung machen ihm zu schaffen. Schon gestern hat Filch einen lauen Druck verspürt, doch sich ganz und gar nichts dabei gedacht, schließlich war es ja sein erster Tag als Untergrundkämpfer. Es schob es auf die Aufregung. Heute wird ihm klar, die Ursache war wohl doch eher der Döner, den er am Abend gegessen hat. Und nun ist er mit allem Unangenehmen konfrontiert, das zu so einer Magenverstimmung dazugehört. Mit der Übelkeit könnte er wohl noch umgehen, aber leider spielt auch die Verdauung verrückt. Sie zwingt ihn sich immer in der Nähe einer sanitären Einrichtung aufzuhalten. An den Spiekerhof ist nicht zu denken. Selbst bei gutem Wetter wäre es eine Tortur. Heute ist es dazu noch stürmisch und die ersten fallenden Blätter zeigen unmissverständlich an, dass der Sommer nicht endlos dauern wird.
Er bleibt also in seinem Stammkaffee sitzen. Der Chef ist wieder nicht da, die Verhandlung über die Badewannennutzung kann er nicht vorantreiben. Seinen Boykott der Namensnennung erhält er also aufrecht. Für den Fall die Situation durch seine Forderungen eskalieren sollte, wäre es gut einen Vermittler vorschlagen zu können. Aber ihm fällt niemand ein. Also beginnt er in ein paar alten Zeitungen zu lesen. Er will die Zeit nutzen um sich mit den politischen Ereignissen in Münster vertraut zu machen. Schließlich muss er ja, als Führer der münsteraner Subkultur jeder Zeit in der Lage sein, Argumente liefern zu können. Doch das Erste, was er sieht ist das Foto einer Dogge mit einer gelben Plüschente im Maul. Der Artikel ist eine Verharmlosung sonder gleichen. Dort steht doch tatsächlich wie gutmütig die Hunde der hier dargestellten Doggen-Schau seien. Filch aber weiß wo diese Ente herkommt. Und er kann sich nicht Vorstellen, dass die Besitzerin sie freiwillig dem Hund überlassen hat. (http://beta.thebeggarsopera.org/node/85) Dann stößt er auf einen Artikel über das »Altwerden in Münster Süd-Ost«. Die örtliche CDU lädt Morgen zu einer Versammlung zu diesem Thema ein. Da sollte er hingehen. Vielleicht tun sich neue Möglichkeiten für die Zeit nach dem September auf. Außerdem gibt es vielleicht Freigetränke.
Die Feldmann-Toilette wird auch nach der Ausstellung von einer Klofrau betreuet werden, steht in einem anderen Artikel. Das ist ungerecht. Warum dürfen die Toiletten bleiben und er nicht? Er blättert weiter und erstarrt. Es geht um einen Überfall auf ein Altersheim. Das an sich ist ja schon ungeheuerlich. Grund genug für einen Schreck. Doch obendrein veröffentlicht die Zeitung ein gestochen scharfes Bild der Räuber. Es ist kein Unbekannter: Einer von ihnen ist zweifellos als sein neuer Komplize von gestern zu erkennen. Genau genommen erkennt er nicht seinen Komplizen, sondern dessen Tarnmaske, die sein Gesicht verhüllt hat. Kann er sich so in einem Menschen täuschen? Er hielt ihn für einen großen Idealisten, der sich seiner Utopie von einer selbstbestimmten Kunst angeschlossen hat. Ist er in Wahrheit nur ein gewöhnlicher Krimineller, der es am Ende auch auf sein Geld abgesehen hat? Oder war der Mann, der alles in allem sehr normal wirkte, ein schizophrener Irrer? Wer könnte ansonsten auf die Idee kommen zuerst ein Altersheim und dann ein Kunstwerk zu überfallen? Wenn er ihn wieder trifft, muss er ihn wohl oder über zur Rede stellen. Er wird ihm anbieten, nicht zur Polizei zu gehen, als Lohn für seine Loyalität. Aber Filch wird ihn aus seiner Bewegung ausschließen müssen. Das wird nicht leicht sein, denn er mochte ihn – ist aber unvermeidlich. Sein Magen rumort noch immer heftig, als er mit einer jungen Frau ins Gespräch kommt. Sie empfiehlt Lakritze und bietet auch sofort welche an. Filch zögert, of er heute feste Nahrung zu sich nehmen soll, nimmt sie dann aber doch an. Es hilft. Und natürlich hat er sofort den Einfall, ein paar Lakritz-Bonbons in eine andere Form zu bringen und sie als Magenpillen zu verkaufen.

So vergeht der Vormittag und es ist schon lange nach Ladenschluss, als ihm einfällt, dass er heute kein Schild aufgehängt hat um auf seine Abwesenheit aufmerksam zu machen. Das holt er natürlich nach. Gerade jetzt, in seiner neuen Funktion als politisches Vorbild im Untergrund, kann er sich keine Fehler erlauben. Auf dem heutigen Schild entschuldigt er sich bei seinen Kunden und Mitstreitern für seine Abwesenheit und bittet um Verständnis für seine Krankheit. »Aber der Kampf geht weiter« versichert er seinen Sympathisanten.

Als der Nachmittag fortgeschritten ist, geht es ihm deutlich besser. Doch reicht es noch nicht um wieder Geschäfte zu machen. Ihm fehlt noch immer der Verkäufer-Charme. Auch glaubt er nicht, die Massen begeistern zu können – also vorläufig auch keine Agitationen. Er will weg – der Gedanke an Urlaub setzt sich wieder durch. Wenigstens ein wenig von Urlaub träumen. Er ist dankbar für den Brief, den er gestern bekommen hat und versucht sich Rijeka vorzustellen. Vielleicht ist es eine Stadt in Sibirien, aus weißem Stein gebaut. Von der Ferne hebt sie sich nur undeutlich von dem Schnee ab. Doch wenn man sie betritt, schimmert sie silbern. Es ist hell dort, und der Himmel zeigt sich in tiefem, dunklem blau. Trotz des vielen Lichts sind die Augen nie geblendet. Man Bruce Naumanns »Square Depression« hier auch bei bestem Wetter ohne Sonnenrille betreten ( http://beta.thebeggarsopera.org/node/86 ).

Die Wirklichkeit unterscheidet sich erheblich von seiner Vorstellung. Dies hat er in einem Reisebüro erfahren. Dort haben sie ihm ein Foto von Rijeka gezeigt. Es liegt in Kroatien, ist aber trotzdem sehr, sehr schön. Eine Hafenstadt, mit schon fast kolonialistischem Flair und mit großen weißen Schiffen am Kai. Anfangs ist die Dame noch sehr freundlich, doch als sie erfährt, dass er eigentlich nur einen Tag lang Urlaub machen kann, wird sie skeptisch. Eine Zugfahrt scheidet aus, denn die dauert viel zu lange. Er könne Fliegen, dann wäre er in zwei Stunden dort. Aber Billigflüge vermitteln sie nicht. Und sie ist auch nicht bereit zu sagen, wo man ihm weiterhelfen kann. »Vielleicht an der Information im Rathhaus«, gibt sie zur Auskunft. Jetzt will sie sicherlich testen wie blöde er ist. Natürlich verkaufen sie dort keine Flugtickets, das weiß Filch. Trotzdem belässt er sie in ihrem Glauben, er sein debil – was nützt es sich mich Menschen anzulegen, der Discount-Reisen nach Mallokka anbieten.
Die Konkurrenz gegenüber ist sehr viel entgegenkommender. Ausführlich erörtert er alle Möglichkeiten. Er ist flexibel. die Reise müsse nur vor dem 30.September abgeschlossen sein. Doch der günstigste Flug (mit Rückflug), den sie finden, kostet 158,47 € pro Person. Das ist zu viel. Doch dann hat er eine Eingebung, die zwei Probleme auf einmal beseitigen könnte. Wenn es einen Flug direkt am 30. September gäbe, dann bräuchte er keinen Rückflug. Und er würde seiner möglichen Verschrottung oder Erschießung entgehen. Am 30. September gibt es leider keinen Flug. Jedoch am ersten 1. Oktober. Der Preis scheint ein Omen zu sein: 1 Cent! Das ist ein Bettler-Preis. Filch traut seinen Ohren nicht. Der Haken sind die Gebühren, die noch dazu kommen. Doch selbst dann kostet der Flug nicht mehr als 55,61 €. Das klingt machbar. Gut der Flug startet in Hannover – dann käme noch eine Bahnkarte dazu. Aber er könnte vielleicht trampen...
Er sagt, er müsse sich das überlegen und bekommt zur Antwort, er solle es sich schnell überlegen. Denn die Preise könnten sich jederzeit Ändern. Aber schnell geht leider nicht. Und genauso genommen kann er gar nicht sagen, ob es ihm am ersten Oktober noch gibt.