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English synopsis. The Beggar's Diary 22.07.07. - It’s Sunday again! And this time, it is full of sun, and the streets full of people. It's too hot for coffee, so Filch decides not to go to the FYAL café today. Instead, he goes straight to the Spiekerhof, but decides, exceptionally, to go incognito. He wants to see without being seen. He is sure of it: the city only exists because he is talking about it.
Filch, you fool!
The Beggar continues his taxonomy of the SPM07 visitor. As if they were being directed by an invisible choreographer, the visitors arrive: they consult their maps; they look around/they take in the surroundings; they look at and take pictures of the Maypole; if they are Asians, they take pictures of the Hotel.
At 13:00 he decides to spend the rest of the day at Bruce Naumann's "Square Depression". But no one refers to the artworks at SPM07 by their real titles: people go "to Naumann's", or "to the Thread" (Mark Wallinger's "Zone"), and Tue Greenfort's work "Diffuse Einträge" is simply called “The Pump".
When he approaches the enormous white surface of the inverted pyramid he sees Constanze waving at him. As he gets closer, his sight blinded by the sun's reflection, he gets his commercial idea of the day: he will rent out a pair of sunglasses—2 euro for 10 sun-glassed minutes. But the sunglasses are inside his pushcart in the Landesmuseum!
Constanze lends him her bike and whether it is because it's Constanze's bike, or because he is not used to riding a bike, or because of the time pressure to rent his sunglasses before it starts raining again, the fact remains that he runs a red light with Constanze's bike.
What follows is again a confrontation between Filch (in his best Buster Keaton impersonation), and an agent of the Muenster authorities. The area under discussion is the nature of Filch's identity and the grammar of personal pronouns. The result is a fine of 90 euro.
Back to Naumann and Constanze, The Beggar discovers that this agent of Authority is quite a city legend.

Bettlertagebuch, 22.07.2007 (Sonntag)

Heute ist wieder Sonntag, da ist das Tempo der Stadt immer etwas gemächlicher. Und weil es ein richtig heißer Sommertag ist, sind die Straßen voll. Filch verzichtet auf seinen Kaffee – denn dafür ist es zu warm – findet er – auch wenn es noch früh am Morgen ist. Zwar geht er heute zum Spiekerhof, doch gibt er sich nicht zu erkennen. Der flüchtige Gedanke von Gestern („...wenn die Stadt keine Geschichten mehr erzählen würde...“) hat ihm klar gemacht, dass ja auch er nicht für immer hier sein wird. Sein Ende ist zwar noch weit, sehr weit – was aber wird aus all diesen Orten einmal werden, wenn keiner mehr ihre Geschichten erzählt? Er fühlt sich heute beinahe wichtig, so als ob die Stadt nur existiere, weil er sie beschreibt. Nun ja er will nicht wirklich in unnütze und überhaupt nicht angebrachte Abschiedsstimmungen verfallen. Aber er interessiert sich dafür, wie die Orte aussehen, wenn er nicht da ist. Am kommen immer wieder Leute vorbei, die ihn suchen. Als wären sie heimlich von einem Regisseur inszeniert worden, verhalten sie sich fast alle gleich. Die Verhaltensregeln lauten: 1. Ankommen. 2. Auf den Plan gucken. 3. Wieder hoch gucken und ein oder zweimal in umher blicken. 4. Den hohen Mast, der wie ein Maibaum dasteht, ansehen und 5. diesen Fotografieren. Eine Ausnahme bilden nur die Asiaten, die fotografieren meist das Hotel von gegenüber, weil man sich da besser davor stellen kann.

Ein Akkordeonspieler gewinnt seine Aufmerksamkeit. Einer von den schwarzen Knöpfen hat sich verklemmt und nun versucht er sie mit der Haarklammer seiner Freundin zu lösen. Das gelingt ihm auch nach ca. 1 Stunde, doch dann verklemmt sich eine weiße Taste auf der anderen Seite. Er wird immer gereizter und fängt an sein Freundin zu beschimpfen. Und auch als er endlich zu spielen beginnt, ist sein Ärger noch kaum verflogen. Zu seinen Balkan-Liedern könnte auch eine Kohorte aufmarschieren.
Um 13.00 schließlich macht er sich auf dem Weg zu Bruce Naumann. Fast keine der Skulpturen hier wird bei ihrem offiziellen Namen genannt. Man geht hier zu Naumann, oder zum Faden; der Streichelzoo wird tatsächlich Streichelzoo genannt – und die Arbeit von Tue Greenfort (Diffuse Einträge) wird in der Regel als das Ding am See, oder die Güllepumpe bezeichnet.

Filch hat sich für heute Naumann ausgesucht, weil es gutes Wetter ist – und da sollen immer viele Leute dort sein. Stimmt auch! Es ist so eine Art Volksfest Stimmung und eigentlich fehlt nur ein Stand mit Bratwurst und Bier um das Bild abzurunden. Doch bevor er das realisiert winkt ihm jemand vom anderen Ende des Platzes zu. Es ist Constanze – (offiziell als Pyramiden Wache). Filch läuft sofort zu ihr herüber und noch während der ersten Sätze die sie wechseln hat er eine Eingebung! Der weiße Beton blendet in der Sonne und er hat doch noch eine Sonnenbrille! Die Antwort sie so einfach wie überzeugend: Ein Sonnenbrillen-Verleih! 10 min für 2 Euro, um in der Skulptur nicht geblendet zu werden. Filch ist sich sicher, da steckt das ganz große Geld drin. Doch es muss schnell gehen, der Regen kommt hier oft so überraschend und dann wäre alles vorbei. Constanze leiht ihm ihr Fahrrad und nur wenige Minuten später ist er am Museum, holt seinen Trolley. Auf dem Rückweg zieht er den Wagen hinter dem Rad her. Ans Fahrrad fahren ist er nicht gewöhnt. Er kommt ins Schwitzten und muss seinen Blick vor sich auf dem Boden heften um nicht aus dem Rhythmus zu kommen. Nie hätte er gedacht, dass ein gesenkter Blick zu so einem Verhängnis werden würde....

Die Situation war eigentlich harmlos: Er sieht eine rote Fußgängerampel und bleibt stehen. Erst als ihm die Frau in dem Auto zuruft, er habe doch grün und solle fahren, sieht er die zweite Ampel. Eine Linksabbieger-Fahrrad-Ampel. Die ist tatsächlich grün zeigt und er fährt los. Keine 50m weiter wid er von einem aufgebrachten Motorrad-Polizisten zum stehen gebracht. Sein Ausweis wird verlangt. Filch versteht nicht, sagt er habe keinen. Der Polizist glaubt ihm nicht auch nicht dass er die Skulptur Nummer Sechs sei und will ihn verhaften. Die Lage wird unglaublich schnell sehr ernst. Um der Festnahme zu entgehen, gebe ich mich als Filchs Darsteller zu erkennen. Er erklärt mir inzwischen zum dritten Mal, dass ich bei rot über die Ampel gefahren sein, droht immer noch mit Verhaftung und behauptet, dass ich ihm meine Personalien verweigern würde. Er will einfach nicht verstehen! Und noch mal, gaaaanz langsam erkläre ich, dass ich gerade eine Filch war, der wirklich keinen Ausweis besitzt. Ich hingegen hätte einen, würde den aber nicht bei mir tragen, weil ich ja Filch sei - eigentlich. Hier stößt der Polizist offensichtlich an die Grenzen seiner intellektuellen Leistungsfähigkeit. Er wechselt von seinem herrischen Tonfall in ein unverschämtes Brüllen, was mich natürlich dazu nötigt zurückzubrüllen. Er würde mich ja sonst gar nicht mehr hören. Die Situation eskaliert weiter und es bleibt schließlich keine andere Wahl als einzulenken. Zumal der Ordnungshüter hier gar nicht die Ordnung hütet, sondern fortlaufen eine neue Realität erfindet. Dabei leidet er offensichtlich an einer tiefen grammatischen Störung solcher Art, dass er die Worte Ich und Du permanent verwechselt. Anders kann es sich Filch nicht erklären warum er behauptet ich hätte angefangen ihn anzuschreien. Außerdem: Nachdem er bereits die fünfte Lagebeschreibung der übersehenen Ampel von sich gegeben hat, behauptet er ich würde – durch permanentes wiederholen meiner Aussage – zum Ausdruck bringen, dass ich ihn für dumm halte. Und dann immer wieder der Vorwurf ich hätte ihm meine Personalien verweigert (Ein weiterer Anlauf die Sache mit Filch zu erklären scheint mir zwecklos). Als Bettler wäre dieser Mann offensichtlich ungeeignet – seine Beobachtungen waren einfach nicht genau genug. Auch fragt sich Filch, warum er die Personalien seines Darstellers in seinen privaten(!) Kalender schreibt und nicht in irgendein Formular. Irgendetwas scheint hier nicht zu stimmen. Und die Ungeheuerlichkeit mit der er die Tatsachen verdreht und sich eine nahtlose Welt aus Lügen baut, verängstigt Filch. Ist das die Kehrseite seines Berufes: Die dunkle Seite der Stadt? So etwas wie ein Darth Vader der Bettler....? Das Resultat steht jedenfalls fest: 90 EURO STRAFE. Daran lässt sich nichts mehr ändern.

Mit einer riesigen Wut im Bauch macht Filch sich auf, um sein neues Geschäft zu eröffnen. Doch eines hat er nicht bedacht: Die meisten Leute haben einfach ihre eigene Sonnenbrille mitgebracht. Und die, die keine haben tun das offenbar aus irgendeiner ideologischen Verblendung »Ich trage nie eine Sonnenbrille« ist der Satz der an diesem Nachmittag zum Refrain wird. Aber dafür sind Begegnungen heute reichhaltig: Ein Ehepaar, dass darauf besteht, dass ihr Dackel Max kunstinteressiert ist und daher Fotografiert werden müsse; ein Busfahrer, der ihm erklärt Russland sei einsam, dafür müsse man gemacht sein. Eine Frau, die ihn fragt, was er denn verkaufe und sobald Filch antwortet, entgegnet sie ihm, sie habe gar kein Interesse an seinen Sachen. Immer mehr Leute erkennen ihn jetzt. Eine Britin, der er gestern den Weg erklärte schenkt ihm eine feministische Beilage aus »The Guardian«. Ein Mann, der sich erinnerte Ihn in der Zeitung gesehen zu haben. schließlich ein anderer Mann, ein kleiner, runder, der mit dem Finger auf ihn zeigt und über den Platz ruft: »Da ist der Bettler.« Filch fragt sich wie er wohl reagieren würde, zeigte er mit dem Finger auf ihn und riefe: »Da ist ein kleiner, runder Mann!« Aber dazu kommt es nicht, weil schon eine andere Frau ihn nach seinem Namen fragt. »Filch, wie der Mann aus Harry Potter« gibt sie zur Antwort. Und Filch begreift sofort, dass er geklaut wurde. Wie denn die Autorin hieße fragt er nach. Und ob sie glauben, dass er sie Verklagen könne auf 90 Euro Schadensersatz, denn die habe ihm ein Polizist gerade gestohlen. »War das ein dünner Mann mit schwarzem Stoppelkopf?« fragt die Frau. Filch ist platt. Woher sie das wisse. Der sei für seine unverschämte Art in ganz Münster bekannt, erfährt er. Die Leute nennen ihn den »Greifer«. Filch verschlägt es die Sprache.

Es ist schon später Nachmittag, als der Platz sich leert. Constanze hat bereits Feierabend und auch Filch beschließt seinen Tag zu beenden. Das Licht ist golden geworden, und er streift noch ein weinig durch die Altstadt. Wie jedes Jahr fällt ihm auf, dass die Abendsonne beginnt sich zu verändern wenn die Nächte wieder länger werden.







Wed 25
Jul 2007

Auch fuer mich gilt, sollte

Posted by anonymous user

Auch fuer mich gilt, sollte sich irgend jenand von dem Tagebuch beleidigt oder verletzt fuehlen ist hier meine Entschuldigung. Ich moecht gerne noch zu bedenken geben, dass sich Ihre Reaktion jedoch auf die fiktionalisierte und anonynisierte Darstellung eines Textes bezieht und nicht auf Realitaet. Die gilt es immer noch zu erforschen.

JM

Wed 25
Jul 2007

I am terribly sorry, Herr

Posted by anonymous user

I am terribly sorry, Herr Thomas Eder, but honestly I haven't seen EVER any lack of respect or responsibility from the part of Jan Mech nor from the part of FILCH. Perhaps we have different concepts about respect and good citizen behaviour, maybe even about human nature and human mistakes. But anyway I apologize for any inconvenience, it was absolutely not Jan's, Filch's nor Dora's intention to offend anyone. And I am deeply sorry if this has been the case.
Dora

Wed 25
Jul 2007

Flechs Interaktion mit der

Posted by anonymous user

Flechs Interaktion mit der Polizei offenbart eine Neue Dimension der Performance: Welche äußeren Bedingungen determinieren seine Rolle? Welchen Einfluss hat die Lebenswirklichkeit von Jan Mech, dem Darsteller, im Leben der Kunstfigur? Realitäten verschwimmen und ordnen sich neu. So wird Flech unmittelbar mit dem Problem der Verkehrssicherheit im urbanen Raum konfrontiert und fällt aus seiner Rolle. Das scheinbare Beibehalten der Regieanweisungen zur Kunstfigur entlarvt sich zu offenbar als Rechtfertigung für Jan Mech. Als Flech oder doch eher als Mech lässt er in seinem Tagebuch eine Geringschätzung gegenüber dem Individuum des Polizisten erkennen, die sich aus der Kunstfigur nicht mehr ableiten lässt, sondern der empfundenen Kränkung des Mech geschuldet ist. So leistet die kleine Interaktion einen Beitrag zur Frage der Rollenkonstuktion und den psychologischen Bedingungen unter denen eine Rolle gelebt wird. Bleibt zu hoffen, dass Jan Mech spätestens zum Ende der Performance in der Realität ankommt und hoffentlich mit Respekt seinen Mitmenschen begegnet.

Thomas Eder
edbe@arcor.de