English synopsis, The Beggar's Diary, 19.08.07. - Filch is taught some manners today by his audience. Immersed in his own train of thoughts, he was thinking of shunning all contact with his visitors at the Spiekerhof today. But he wound up having such an intense, engaging, intelligent, interesting, intellectually stimulating with the public that he felt deeply moved at the end of his office hours, 13:00, by which time he had discussed dishonesty, the different sizes of fruit boxes, plastic surgery, Audrey Hepburn, tax declarations, Bill Viola, and female supremacy in heterosexual relationships; he had also been given a CD with American Indian music and a half-knitted woolen scarf—a participative conceptual work being co-authored by the international public of SPM07. This last gift was delivered with the words: "so The Beggar can keep himself warm next winter"… well, another toy for his grave!
(http://beta.thebeggarsopera.org/node/108)
He spends the rest of the day posing for a photo-documentary about his own important persona, a prologue for his upcoming performance on Wednesday at 17:00 at the Metropolis Kino, where, he is sure of it, his musical career will take off.
(http://beta.thebeggarsopera.org/node/98)
Bettlertagebuch 065/120, 19.8.07
Wenn Filch spät dran ist, dann tut es ihm Leid, aber neben allen anderen Emotionen, die konventioneller Weise mit Verspätungen in Verbindung gebracht werden, verspürt er häufig auch eine gewisse Genugtuung darüber, keine Minute zu früh aufgestanden zu sein.
Am Spiekerhof ist zunächst nicht viel los, und Filch hat auch keine große Lust, auf sich aufmerksam zu machen. Wer ihn durchaus sprechen möchte: bitte, da ist er, aber das heißt ja nicht, dass er sich zugänglicher geben muss, als er sich heute morgen fühlt.
Aber dann bekommt er aufgeschlossenen und teilweise auch launigen Besuch, dem es gelingt, ihn aus der Reserve zu locken. Zwei Besucher auf Fahrrädern, die schon vor zehn Jahren "dabei waren" und die zumindest einmal "Finger weg vom Faden!" singen müssen, um in zehn Jahren behaupten zu können, auch dieses Mal wieder "dabei gewesen zu sein". Zwei junge Künstlerinnen, die sich nach eigener Aussage zur Zeit künstlerisch im Ruhestand beziehungsweise auf der kommerzialisierten Seite der Kunst befinden. Und zwei Besucherinnen aus Stuttgart und Koblenz, die sich mit ihm über alles Mögliche unterhalten. Aber eben auch über Verlogenheit, Körbchengrößen, Schönheitsoperationen, Audrey Hepburn, Steuererklärungen und geistige Überlegenheit in heterosexuellen Beziehungen.
Als sich Filch von einer norwegischen Videokünstlerin und ihrem Begleiter von der Faszination erzählen lässt, die für sie von Bill Violas Arbeiten ausgeht und sie anschließend bittet, eine kleine Fotoserie von ihm zu schießen, die seine Stimmung zu Beginn seiner Besuchszeit am Spiekerhof festhält, kommt es fast zu einer kleinen Menschenansammlung, bei der Filch auch eine alte Bekannte wieder trifft: es ist die Begleiterin von "06A" aus Wuppertal! "06A" ist zwar wegen anderweitiger Verpflichtungen heute leider verhindert, aber Filch freut sich natürlich auch so, sie zu sehen; und sie hat ein wirklich außergewöhnliches Geschenk mitgebracht, das eins der großen Themen dieser Zeit auf beinah schon beängstigende Weise einfängt und konkretisiert: Solidarität.
Das Geschenk besteht aus einem angefangenen Strickschal, den dazugehörigen Stricknadeln und etwas Wolle (ein Knäul hellblau, das andere bunt).
Das bereits fertig gestellte Ende ist so gestrickt, dass man weiß auf schwarz lesen kann: "MSSP (Münster Skulptur Projekt) FILCH 07". Das Konzept, das dem Geschenk zugrunde liegt, ist, dass Besucher aus aller Welt bei Bedarf ein paar Reihen stricken und so mithelfen können, "dass Filch es im Winter warm hat". FIlch gibt zu bedenken, dass er über den Winter gar nichts sagen kann, aber er ist natürlich doch sehr gerührt. Zumindest alle Damen, die in Begleitung von "Mrs. 06A" angereist sind, haben schon ihren Beitrag zum Schal geleistet, und Filch findet gerade die Vorstellung, dass sich in seinem Schal die unterschiedlichsten Stile mischen einfach großartig.
Aber es ist nicht das einzige Geschenk. Eine der insgesamt vier Damen, die sich in der Begleitung eines Herrn befinden, hat ihm noch eine CD mit indianischer Musik mitgebracht. Auf die Hülle hat sie einen Zettel geklebt, auf dem folgende Widmung steht: "für Filch - indianisch - ´Der den Faden liebt´ 19. 8. 2007 SPM07". Und dazu gibt es auch noch einen Apfel. Filch weiß gar nicht, was er sagen soll.
Um 13.30 Uhr hat er eine Verabredung an der Information am Domplatz mit dem Fotografen, der auch das Foto geschossen hat, mit dem sich FIlch aktuell um Aufnahme ins städtische Schauspiel-Ensemble bewirbt. Es soll eine längere Session an vielen unterschiedlichen Orten der Stadt werden. Als er gefragt wurde, war sich FIlch zunächst nicht ganz sicher, ob er sich zu einer solchen Unternehmung bereit erklären sollte, aber es winken ihm ANALOGE SCHWARZ-WEISS-BILDER, die ihm nicht nur beim Aufbau seiner Starkarriere ausgesprochen nützlich sein könnten, sondern auch maßgeblich Teil seiner Legende sein könnten. Das einzige, was zu guter Letzt noch dagegen spricht, ist Filchs Mangel an Eitelkeit, aber er spürt, dass er sich der Kunst zuliebe heute eben mal überwinden muss.
Der Fotograf hat sehr genaue Vorstellungen, ist aber auch sehr offen für Filchs Vorschläge, und so wird es ein ausgesprochen kooperativer Nachmittag frei von Allüren, bei dem Filch viel über dokumentarische Stilisierung lernt.
Ihr Weg führt sie vom Informationsfoyer, seiner "Freistatt", zum "fyal"; von dort zum Spiekerhof und zu seinem Postkasten, den er im Zeitlupentempo überprüft (er ist leer), wobei zweimal das Objektiv der Kamera gewechselt wird, und dann über den Prinzipalmarkt weiter in Richtung Südosten. Das Licht ist, wie er sich erklären lässt, "geradezu ideal für Schwarz-Weiß-Aufnahmen", da die Sonne nicht zu sehen ist. Nur kurz wird das Shooting von einem Regenschauer unterbrochen, aber auch beim Unterstellen lernt Filch etwas aus dem mannigfaltigen Erfahrungsschatz des Fotografen: Politiker zum Beispiel wüssten immer ganz genau, was zu tun ist, wenn sie fotografiert würden.
Zunächst isst Filch - ganz seiner Modell-Rolle entsprechend - den Apfel, aber dann erbittet er sich eine kurze Unterbrechung, um sich einen Hamburger zu kaufen. Während ihres Spazierganges durch die Stadt unterhalten sie sich angeregt über Science-Fiction-Filme der 50er und 60er Jahre und Filch würde am liebsten sofort "The Day the Earth stood still" und den Roboter Gort sehen, von dem er zuvor noch nie etwas gehört hat.
Sie setzen sich einen Moment auf ein paar Pfeiler, damit Filch in Ruhe
den Hamburger essen kann.
Ein Hamburger, denkt Filch, das ist in erster Linie einfach mal ein Hamburger. Ein Hamburger besteht zwar aus Hackfleisch und Zwiebeln und Ketchup und Senf und Gewürzen und Brot und einer Gurke, aber alles, woraus ein Hamburger besteht, denkt er, würde man - selbst wenn man es völlig unabhängig voneinander sehen würde - zumindest in der Form, die ihm hier vorliegt, direkt dem Hamburger zuordnen. Dergestalt sind seine Gedanken, als ihm plötzlich klar wird, dass sie vor dem Kino "Stadt NEW YORK" sitzen. Aber er schrickt erst auf, als er zum zweiten Mal den Zettel liest, der von innen an die geschlossene Eingangstür angebracht worden ist und der besagt, dass die ehemals vorhandenen Stühle bereits sämtlich ausverkauft sind. - Jetzt erst wird ihm klar, dass das Kino geschlossen worden ist! Und er hat es geliebt. "Ocean´s 13" war einer der besten Abende. Ihm wird auf so eindeutige Weise bewusst, wie gefährdet und angreifbar alles zu sein scheint, woran ihm etwas liegt.
Das nächste Objekt darf sich der Fotograf wünschen: es ist ein Hochhaus, das zum Teil aus einem Call-Center zu bestehen scheint. Dann wünscht sich Filch einen Besuch in einem noch existierenden Programmkino. Er hofft, dass es die kleinen Kinos immer geben wird.
Als sie in Richtung Bahnhof laufen, um das Shooting am "Metropolis" zu beenden, wo Filch am Mittwoch sein "Beggar´s Evening/Live Concert" geben wird, ist ihm bereits klar, dass der Modell-Beruf knallharte Knochenarbeit ist.
"Klar", meint der Fotograf, "die Topmodells müssen jeden Tag gleich gut aussehen."
"Das ist für mich zu spät", stellt Filch mit einer Mischung aus Wehmut und Erleichterung fest. Aber für die Schlussphase des Shootings will er seinen Posing - auch in Hinblick auf Mittwoch - mal ein wenig variieren und den Swing als Geisteshaltung zumindest als Möglichkeit nicht völlig ausschließen.
Auf dem Rückweg zum Museum erklärt ihm der Fotograf: "Manchmal werden die besten Sachen die, von denen man sich zunächst gar nicht allzu viel verspricht." Aber es ist längst zu spät: im Info-Foyer am Domplatz erklärt Filch nicht nur, dass am Mittwoch ("um 17 Uhr an Punkt 17") seine Musikkarriere endgültig und unwiederbringlich beginnt, sondern lässt auch noch den 8-sekündigen Kurzfilm "The King has left the Building" drehen, der hauptsächlich davon handelt, dass er das Foyer wieder verlässt.
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