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Fri 03
Aug 2007

The Beggar's Aria

Posted by dora under The Beggar's Diary
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English synopsis, The Beggar’s Diary, 02.08.07 . - Today is the day. His voice is good, but not great; his whole body is tense; it is raining. But his mind is made up. He must re-conquer his raison-d’être, his motivation, his right, and his goal as a sculpture. Point 06 at the Spiekerhof is not his simply because it is thus indicated on the map, or because the organization of SPM07 says so: he must be worthy of his site as a sculpture.
And so, as he reaches the Spiekerhof—though it must be said that it didn’t seem exactly like the Spiekerhof had been eagerly awaiting him—he is happy to see that there are no bicycles parked on his spot. He gets a new begging cup at the bakery. But before he gets into the mood to start rapping, he must receive some visitors: three people from Belgium, two from Munich. The two people from Munich are the first ones who know anything about his singing ambitions, and the first ones to hear his song. His whole history is in this song: he now knows who he is, Charles Filch, and where he comes from, The Beggar's Opera. This is the song:

The Beggar's Aria, No. 1
Some call me Filch some number six
I have a lot of clients, but don't get laid more often because of it,
They name me simply The Beggar – just one of my names.
I trade information for goods or money
And none of my clients ever asked for something I could not provide.
You looking for something specific? Just ask Charlie Filch.
I have plasters for your feet and honey for your milk
Cigarettes, condoms, and sometimes real art.
Throw some money in my cup and I'll start appreciating you
But don't be mistaken, I am no crook.
I’m understanding, phlegmatic, soft, but
Don’t underestimate my temper
Don’t push me
Don’t get any closer if you plan to insult me
Because I warn you, my revenge will be terrible.
I just ramble through Muenster, giving good advice where needed
I would probably counsel faster if I had a bicycle
But man I can’t afford it, not enough dough
So get off your bike if you wanna talk to me
What I really would like to know is how the world functions
And what happens when you screw things up – in the best case
And what happens when you screw things up – in the worst case
To beg, you have talent or you don't
Same as with poetry – judge for yourself
You live the life you like and I live the life I can
If I could do better I'd be at Oxford or Cannes
So just say what you want to know and I'll tell you
If I can or know
There is no catch, man, you name the price.

Satisfied, he dedicates the rest of the day to indulging in his admiration for Mark Wallinger and Frank Sinatra.

Bettlertagebuch 02.08.07 (Donnerstag)

Vielleicht nicht ganz so pünktlich wie Phileas Fogg in der finalen Clubszene von "In 80 Tagen um die Welt" aber selbstbewusstseinsmäßig zumindest auf Augenhöhe mit ebendiesem, betritt Filch das "fyal central" und ist sich jetzt schon sicher: heute wird´s passieren.
Seine Stimmung ist gut, aber nicht überschwänglich; jeder Muskel seines Körpers wartet halb angespannt darauf, dass es losgeht. Das Wetter ist regnerisch, aber er ist entschlossen. Durch die ganze Lauferei in den letzten Tagen hat er erst jetzt gemerkt, dass sich der Fahrpreis für ein Busticket seit Beginn des Monats von 1,95 Euro auf 2,- Euro erhöht hat.
Im "fyal" hat wieder eine Belegschaft Schicht, die ihn noch nicht kennt; das heißt: diese Belegschaft kennt Skulptur Nr. 6, aber sein Gesicht kommt ihnen nicht bekannt vor. Filch fragt, ob er in ihrer Erinnerung eher blonde Haare oder eher eine Glatze hatte und sie meinen sich an blonde Haare zu erinnern. Filch erklärt, dass das stimmungsabhängig sei, und dass er höchstwahrscheinlich ab Samstag wieder so aussehen könnte, aber vorher hat er noch etwas zu erledigen. Er muss sich Punkt "06" zurückerobern.
Das mit der aufgeschäumten Milch ist offenbar falsch verstanden worden, und Filch bekommt einen Milchkaffee. Er trinkt normalerweise überhaupt keinen Kaffee, aber was soll er machen, wo er ihn doch umsonst bekommt? Außerdem sind heute zwei Kekschen dabei, es wird also schon gehen. DENKT ER ZUNÄCHST.
Der Kaffee im "fyal" ist wahrscheinlich sensationell; aber Kaffee ist wirklich verdammt bitter und schmeckt überhaupt nicht, WENN MAN KEIN KAFFEETRINKER IST. Daran ändern auch weder Milch noch Zucker irgendetwas: sie überdecken nur, was man sich so oder so verabreicht. Aber Filch möchte nicht undankbar sein und trinkt die Tasse leer. Aber den Geschmack wird er so schnell nicht vergessen.

Bevor er zum Spiekerhof geht, schaut er schnell noch im Büro des Landesmuseums vorbei, um sich für seinen heutigen Auftritt - gewissermaßen für das Rahmenprogramm - die richtigen Tauschwaren auszusuchen. Er nimmt seine Kohlezeichnungen mit und die neuen Ölkreiden, die Straßenkreide, seine drei Bücher, den Katalog vom Allwetterzoo, zwei originalverpackte Regenschirme und natürlich Professor Dr. Stanley Kubricks Zauberwürfel.
Aber es gibt noch eine Neuigkeit: Er hat Post! - Aber diese Post ist nicht in seinem Postkasten hinter dem Elektrokasten am Domplatz hinterlegt worden, sondern wurde direkt ans Landesmuseum geschickt! Auf dem gelben Umschlag steht: "Bitte Hr. Filch persönlich aushändigen"! - Ungeduldig reißt er den Umschlag auf und findet zu seiner Überraschung einen Satz Briefmarken aus seiner Heimat, die alle Diana, Princess of Wales zeigen. Dabei liegt ein Brief, in dem ihm die Schreiberin, "eine Bewunderin und Briefmarkensammlerin", "viel Erfolg und wenig Regen wünscht" (offenbar jemand, der sich sehr gut in seine Lage versetzen kann) und vorschlägt, Münster "würde ihm eine Miniserie als Briefmarke widmen"! - Filch versucht seine Emotionen schnellstmöglich in den Griff zu bekommen. Die Briefmarken müssen natürlich mit! - Er erbeggart sich (eine leichtere Übung) eine Papiertragetasche aus dem Büro des Landesmuseums, die aber leider im Boden ein ausgestanztes, kreisrundes Loch hat, das er erst einmal mit Zellophan auslegt.
Heute gibt´s am Spiekerhof seinen Rap, daran führt kein Weg vorbei; aber eine vierzeiligen Vorgeschmack, sozusagen das "Soft Opening", gibt es bereits im Büro des Landesmuseums.

Der Spiekerhof scheint nicht gerade auf ihn gewartet zu haben, aber sein Platz ist erfreulicher Weise auch nicht mit Fahrrädern zugeparkt.
Filch findet, heute ist genau der richtige Tag für einen neuen Becher und geht erst einmal beim Bäcker vorbei, wo er sich warmspielt, in dem er sich sehr höflich mit der Schaufensterpuppe unterhält, die wegen des Regens heute drinnen sitzt, und sich vielmals bei ihr entschuldigt, dass er "einfach so an ihr vorbei langt", um an die Plastikbecher zu kommen.

Drei Besucher aus Belgien überlegen, ob sie vielleicht einen Regenschirm kaufen. Aber Filchs Schirme sind ihnen entweder zu lang (um sie bequem in die Tasche stecken zu können, wenn es nicht regnet) oder zu kurz (um sich damit locker auf dem Boden abzustützen wie Fred Astaire auf seinem Stock, kurz bevor er mit "Puttin´on the Ritz" loslegt). - Filch erklärt an diesem Beispiel Einsteins Relativitätstheorie, er mahnt mit Robert Frosts Gedicht "The Road not taken", das er komplett AUSWENDIG hersagt, dazu, auch einmal etwas Außergewöhnliches zu tun, erzählt von seiner nächtlichen Begegnung mit Frank Sinatra und seinem Besuch in der Kunstakademie. Der Besuch lauscht aufmerksam, manchmal amüsiert, fragt gelegentlich etwas, kauft aber nichts und spendet auch nichts.
Der nächste Besucher bleibt keine halbe Minute bei Filch, ist sehr in Eile, schenkt ihm aber einen Kugelschreiber.
Dann kommt ein Ehepaar aus München. Das heißt: für Filch, den Gangsta Rapper, wird es immer DAS Ehepaar aus München sein. Sie halten zunächst ein wenig Abstand und lesen im Begleitbuch zur Ausstellung, was es vermeintlich mit ihm auf sich hat. Dann kommen sie näher, und der Mann fragt ihn, ob er ihm sagen könne, wer momentan der originellste Einwohner von Münster sei. Die Bescheidenheit gebietet Filch zunächst, diese Frage nur ausweichend zu beantworten, aber dann wächst er, bevor er noch die erste Zeile gerappt hat, mit einem Mal völlig problemlos in seine neue Rolle hinein und erklärt, was Sache ist. Er erzählt, wer er ist und was er tut und krönt seine Erklärung mit der Eröffnung, dass er versucht hat, alles was ihn ausmacht in "einem ehrlichen Song" zusammen zu fassen.
Das Ehepaar könnte sich vorstellen, davon noch ein paar Zeilen mitzunehmen und dann fängt Filch einfach an. Rein intuitiv entscheidet er sich dafür, so zu tun, als ob er den Song gerade jetzt, gewissermaßen mit ihnen zusammen, oder zumindest in ihrem Beisein entwickeln würde. Es ist eine Session. Eine drei Tage vorbereitete Improvisation, und innerhalb von knapp zwei Minuten ist Filch mit dem Song durch. Aber seine Besucher sind sehr überrascht und bedanken sich herzlich bei ihm für die Vorstellung, die sein "Hard Opening" gewesen ist, sein Einstand in die Musikgeschichte. Seine ganze Ehrlichkeit hat Filch in diesen Song zu legen versucht und seine Geschichte. Er weiß, wer er ist (Charlie Filch), und er weiß, woher er kommt (aus der" Beggar´s Opera"). Und hier ist sein Song:

THE BEGGAR´S ARIA, No. 1

Manche sagen Filch zu mir und manche "Nr. 6"
ich hab zwar jede Menge Kundschaft, aber dafür wenig Sex.
Man nennt mich schlicht den "Beggar" - nur einer meiner Namen -
sie alle darzubieten ist hier einfach nicht der Rahmen.

Ich tausche Infos gegen Waren und Waren gegen Geld
Und bis jetzt hat noch kein Kunde was Unmögliches bestellt:
Suchst Du was Individuelles, probier´s bei Charlie Filch,
ich hatte Pflaster für die Füße und Honig für die Milch,
Zigaretten und Kondome und manchmal echte Kunst.
Wirfst Du Geld in meinen Becher, steigst Du auf in meiner Gunst.

Aber dennoch ist der Beggar alles andre als bestechlich,
wirkt er auch manchmal nachgiebig, phlegmatisch oder schwächlich:
Seine launenhaften Stimmungen sind nicht zu unterschätzen,
Drum rat ich Dir, ihn niemals zu beleidigen, zu hetzen,
gelangweilt an sein Tuch zu treten oder ihn zu kränken,
Seine Rache wäre fürchterlich, die solltest Du Dir schenken!

Ich streif durch Münster, sprech Dich an, und biete guten Rat
Und wahrscheinlich wär ich schneller, hätte ich ein gutes Rad
Doch das kostet leider Kohle, und die ist gerade knapp,
Also, wenn Du mit mir sprechen willst, dann steig doch einfach ab.

Was mich wirklich interessiert, ist: wie diese Welt so tickt
und was man, wenn man was vertickt, im besten Falle kriegt.
Was mich wirklich interessiert, ist: wie diese Welt so tickt
und was man, wenn man was vertickt, im schlimmsten Falle kriegt.
Zum Baggern hast Du das Talent oder hast es nicht
Das ist genauso wie beim Dichten - und erklärt dieses Gedicht.
Du lebst das Leben, das Du möchtest, und ich das, das ich kann,
Ansonsten wäre ich vielleicht in Oxford oder Cannes.

Also frag mich, was Du wissen willst, ich sag´s Dir, wenn ich´s weiß -
Dabei gibt es keinen Haken, Mann, und Du bestimmst den Preis!

Als Filch diese Premiere, von der er künftig erzählen wird, dass sie in Münster "und gleichzeitig irgendwie auch in München" stattgefunden hat, hinter sich gebracht hat, hat er das Gefühl, gesagt zu haben, was er zu sagen hatte und geht erstmal eine Suppe essen.

Am Nachmittag möchte er einer Information nachgehen, die er gestern bekommen hat: Mark Wallinger soll nämlich angeblich seine Skulptur "Zone" im "Café Kleinmann" konzipiert haben. Da muss er hin! - Außerdem hat eine Frau ihm vor längerer Zeit einmal eine Süßigkeit mit Marzipan geschenkt, die - wenn Filch es richtig verstanden hat - "Ratsherr" geheißen haben soll und auch von dort war. Also auf einen "Ratsherren" ins Kleinmann! (Vor allem auch, um herauszubekommen, was Herr Wallinger bei der Konzeption getrunken hat.)
Im Kleinmann kann man dazu nichts genaues sagen; Filchs Bedienung kann sich aber an Pae White erinnern, die inzwischen jedoch wohl schon wieder in Kalifornien ist. Filch ist die Indiskretion seiner Fragen ein wenig peinlich, besonders als man ihn fast unmittelbar als Teil der skulptur projekte münster 07 entlarvt. Nicht ohne Stolz bezahlt er die 55 Cent für den "Ratsherren" und erklärt, dass man jederzeit weitererzählen dürfe, dass er hier einen "Ratsherren" gekauft hat. Allerdings wäre es ihm aber wahrscheinlich doch ein wenig unangenehm, wenn man sich erzählte, dass er ihn schon fast aufgegessen hat, bevor er noch ganz aus der Tür war. Und das kommt so: Gewissermaßen zwischen Tür und Angel begegnet ihm eine Familie, die auch beim 1. "Beggar´s Evening" gewesen ist und sich gut an seine Ausführungen zum Thema Faden erinnert. Wenn Filch den "Ratsherren" so auch viel schneller verschluckt, als er eigentlich vorgehabt hatte, freut er sich doch sehr, und fragt, was man wohl so glaubt, dass Herr Wallinger im "Kleinmann" bei der Konzeption getrunken habe. Man einigt sich relativ zügig auf "Kakao mit Rum", was Filch persönlich natürlich tausendmal besser gefällt als beispielsweise die Vermutung, es wäre ein Kännchen Kaffee gewesen. Zum Abschied erbeggart sich Filch noch, dass das Familienoberhaupt in seiner akustischen Nachinszenierung des Moments, in dem Herr Wallinger sich dazu entschließt, im "Kleinmann" eine Linie zu zeichnen, die Hauptrolle übernimmt. Es entsteht eins der kürzesten Hördramen in Filchs bisheriger Schaffensgeschichte. Und eins seiner besten.

Der Rest des Tages ist der "Promotion-Tour" für seine "Beggar´s Aria" gewidmet. Filch besucht Skulptur-Aufsichten, die er kennt, und liest den Rap vor. An Applaus ist er noch nicht richtig gewohnt, aber er entschließt sich, auf dem Boden zu bleiben, schließlich hat er noch keinen Cent mit dem Song verdient.
Bei einem Spaziergang durch die Stadt denkt er über seine Zukunft nach. Dann kommt ihm die Idee, es vielleicht einmal in Spielcasinos zu versuchen, schließlich gibt es dort auch immer Shows mit Musiknummern und vielleicht wäre seine "Beggar´s Aria" eine gute Gelegenheit, irgendwo einen Fuß in die Tür zu bekommen. Natürlich nur bildlich gesprochen. Das wirkliche Gefühl kennt Filch nur allzu gut.
Der Versuch, sich nach Casinos zu erkundigen erweist sich als nicht ganz so einfach wie zunächst gedacht, da Filch niemanden durch seine Frage erst auf die Idee bringen möchte, es doch mal mit Glücksspiel zu versuchen. Also fallen schon einmal alle raus, die er als "latent gefährdet" einstuft. Und alle Mütter und Familienväter auch. Das würde sich Filch nie verzeihen. Zwei junge Frauen, die Filchs Meinung nach "mit beiden Beinen im Leben steheh" erklären, da würde er die Falschen fragen. Eine junge Kellnerin schickt ihn schließlich zum Bahnhof, warnt ihn aber vor, dass das vielleicht nicht ganz das wäre, was er sucht.
In den drei Spielcasinos, die er auf der Bahnhofstraße findet, wird ihm sehr freundlich mitgeteilt, dass hier keine Shows mit Musikeinlagen stattfinden. Aber es bleiben ja immer noch die Hotels. Filch sieht sich im "Kaiserhof", im "Conti" oder im "Horstmann" singen. Und wenn diese Hotels vielleicht auch noch nicht ganz so berühmt sind wie das "Tangiers", das "Golden Nugget" oder das "Flamingo" in Las Vegas: vielleicht können sie es ja zusammen bis ganz nach oben schaffen; aber das hat noch ein wenig Zeit. Er glaubt, es ist nachhaltiger, wenn die Hotels irgendwann auf ihn zukommen.
Er läuft zurück in Richtung Spiekerhof und kehrt heute ausnahmsweise noch in einer Eisdiele ein, um einen Schokoladen-Milchshake zu trinken. Vor dem ersten Schluck gedenkt er allerdings noch jemandem, der heute - zumindest physisch - nicht bei ihm sein kann, selbst wenn es er wollte: Frank Sinatra.