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Wed 01
Aug 2007

Filch the Gangsta Rapper

Posted by dora under The Beggar's Diary
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English synopsis, The Beggar's Diary, 31.07.07 . - Filch woke up late and got up even later. He thinks this sort of attitude fits a Gangsta rapper like himself very well. He went to the Spiekerhof hoping to have as few visitors as possible, because he has to compose his rap song and because he has an appointment there with a possible percussionist. Sorry for those who might wait for him at 10.30 in the FYAL café, as he decided not to go. Not a place for Gangsta rappers.
The minute he arrives he starts working furiously on his rap-song. People interrupt him constantly, not because they recognize him as sculpture No. 06, but just because he looks so busy—they can't resist irritating him.
When he leaves the Spiekerhof, two hours later, his text is ready. This is when he decides to go to the FYAL café, and, surprise surprise, there are people there who have been waiting for him. One of the two happy-to-see-him ladies says she went to see his last theatre performance, "The Beggar's Evening", at the Metropolis Kino. Filch’s memory of the event is blurry … anyway, she loved it. She and her friend want to talk to him about theatre, representation, reality, probably, Filch suspects, because they think he is an actor, even though he’s not. But, not to disappoint them, he goes along.
Resuming his daily routine, he goes to the reception of the Landesmuseum to say hello to the ladies who work there. There is a picture of him at the door of the museum, with the caption: "The Beggar". He knows the ladies think he looks very handsome in the picture. Many a time they’ve called him: "Filch, the handsome beggar".
Once there, he decides he wants to listen to an audio tour recorded by an artist during the SP97: Janet Cardiff. The eternal problem: he has no ID and therefore cannot get an audio player. But he is The Beggar! The One Who Loves The Thread! And, just as some days ago he was able to enter the Allwetterzoo
(http://beta.thebeggarsopera.org/node/93) just because "he is The Beggar", so now, too, he manages to get the audio player. There are certainly some perks to being an employee of SPM07 … however tedious the office hours may be.
As he’s returning the audio player and headphones, he is asked again if he is, really, The Beggar, because he just doesn’t resemble the person on the photo that much. Filch, instead of just saying, "yes, I am", decides to give new meaning to the expression: "everyone could be Filch".
Quickly, Filch organizes a photo shoot to determine which one of them looks most like Filch. While they are busy with that, a playful janitor interrupts to ask if he has a photo license. No.
The ladies at the reception are only too glad to give him one, though he must promise not to use the pictures commercially. Not to use the pictures commercially … are you out of your mind? Why else would he want to take pictures? He only uses pictures commercially, you silly person! His license is immediately revoked, but, alas, too late: because the pictures are already here, already commercially exposed.

Bettlertagebuch 31.07.07 (Dienstag)

Filch hat verschlafen. Aber er ist darüber nicht ganz so erschüttert, wie er selbst vielleicht gedacht hätte: ein wirklicher Gangsta-Rapper, findet er, kann auch mal ein bisschen zu spät kommen. - "Meine Güte", denkt er, "manche von den Jungs haben ein gutes Dutzend Kugeln im Leib, die werden auch zu der einen oder anderen Verabredung zum Milchshake zu spät gekommen sein." Aber um seinen Dienst am Spiekerhof nicht gänzlich ausfallen zu lassen, verzichtet er trotzdem auf den obligatorischen 10.30 Uhr Besuch im "fyal" und geht direkt zu Punkt "06".
Gerade heute hätte er eine aufgeschäumte Milch vertragen können, aber eine klassische Eröffnung (Apfelschorle 0,5 l) ist, denkt er, auch gut. Die Sonne scheint und Filch hofft, dass er von möglichst wenig Leuten angesprochen wird, weil er seinen Rap lernen muss. Allerdings hat er eine vage Verabredung mit einem vielleicht in Frage kommenden Schlagzeuger, weswegen er anfangs etwas zögert, sich vom Damen-Oberbekleidungs-Geschäft zu entfernen. Aber dann denkt er, dass seine Verabredung und er sich schon finden werden, wenn der eine nur ordentlich sucht und der andere auch gelegentlich mal vor dem Damen-Oberbekleidungs-Geschäft nach dem rechten sieht. - Ich meine, wir reden wir hier schließlich vom "Beggar"!
Aber etwas in seiner Wahrnehmung hat sich heute doch verändert, und er weiß nicht, ob es damit zusammenhängt, dass er unter die Musiker gegangen ist.
Die Bank, auf der er letztendlich Platz nimmt, liegt auf unwiderstehliche Weise im Sonnenlicht. Es ist tatsächlich noch einmal Sommer geworden.

Als Filch um Punkt 13 Uhr den Spiekerhof verlässt, hat er den Text schon ganz gut verinnerlicht, ist aber seiner Meinung nach vom Gangsta-Rapper-Ehrenkodex-Standard noch Lichtjahre entfernt.
Auf dem Weg über den Domplatz kommt ihm der Gedanke, einfach jetzt noch ins "fyal" zu gehen, um seine Milch zu erbaggern. Diesen Plan findet er so verwegen, aber auch irgendwie so Gangsta-Style-mäßig und gleichzeitig auf so coole Art süß, dass er ihn sofort in die Tat umsetzt.

Er nimmt die Mütze ab, bestellt die Milch und geht sich ein wenig frisch machen, wobei er feststellt, dass seine Haare so heftig abstehen, wie man das durch normales Nicht-Frisieren eigentlich nicht hinbekommt.
Auf seinem Milchschaum sind heute ein paar Sprenkler Kakaopulver und Filch fühlt sich wirklich gemocht. Dann passiert etwas für seine "fyal"-Aufenthalte ganz und gar Ungewöhnliches: Zwei Damen sprechen ihn an, haben sich bei der Bedienung sogar nach ihm erkundigt und sind vielleicht sogar eigens ins "fyal" gekommen, um ihn zu sprechen. Und sie möchten Filch zu einem Getränk einladen! Da sagt er nicht nein und wünscht sich eine Apfelsaftschorle.
Der interessante Einstieg in das Gespräch: eine der beiden Damen kommt aus Münster und war beim letzten "Beggar´s Evening" vor knapp einer Woche, an den Filch sich heute nur etwas vage erinnert, die andere kommt aus Düsseldorf und meint, er wäre der geborene Hamlet. Und sie hat den brillanten Hanns Lothar als Hamlet in Düsseldorf vor gespaltenem Publikum mit sich ringen sehen! Es beginnt ein komplexer Austausch über Theater, Handwerk und bildende Kunst, währenddessen durch irgendein schmeichelhaftes Missverständnis die ganze Zeit davon ausgegangen wird, dass Filch selbst Schauspieler ist.

Zum Finale des heutigen Tages kommt es mehr oder weniger durch Zufall. Filch macht einen kurzen Zwischenstopp im Büro des Landesmuseums, wo er Mütze, Jackett und Rucksack ablegt und beim Hinausgehen zunächst mitzunehmen vergisst, und später vor verschlossenen Türen steht. Ohne diese Accessoires fühlt er sich ein wenig unvollendet, aber er traut sich dennoch in die Öffentlichkeit, wo er feststellt, dass der Wegfall (besonders des Rucksacks) auch eine unerhörte Leichtigkeit zur Folge haben kann. Er schlendert zur Information am Landesmuseum und unterhält sich dort ein wenig mit den beiden Damen von der Aufsicht. Das ist schon fast eine lieb gewordene Gewohnheit. Hier hängt sein Bild, man ist sehr freundlich zu ihm und er hat immer irgendwie das Gefühl, sich in einer Freistatt zu befinden. Ein kurzes Stück Niemandsland zwischen dem Leben und der Kunst.
An der Wand neben der Eingangstür zum Museum hängt ein Schild, das auf Janet Cardiffs Skulptur-Projekt "Walk Münster" aus dem Jahr 1997 hinweist. Man kann sich ein Tonband mit Kopfhörer ausleihen und dann für 20 Minuten auf einen inszenierten Spaziergang einlassen. FIlch ist sofort begeistert und will diesen Spaziergang sofort unternehmen, und als er hört, dass man das Tonband UMSONST entleihen kann, hat er schon fast das Gefühl, in den letzten Wochen etwas Unwiederbringliches verpasst zu haben. - Alles, was er braucht, ist ein Personalausweis oder ein Führerschein als Pfand.
Nach einigem Feilschen nimmt man - aber wirklich nur weil er der "Beggar" ist, wie das Bild, das im Foyer von ihm hängt, für die eine Aufsicht beweist, für die andere widerlegt - auch seine (leere) Geldbörse als Garantie dafür, dass er alles unversehrt wieder abliefert.

Ein paar Jugendliche sitzen an dem Brunnen am Domplatz, an dem der Spaziergang beginnt, und nehmen eine Brotzeit ein. Sie sehen Filch mit einer Mischung aus Mitleid und Unverständnis an. (Wahrscheinlich sieht er nicht gerade besonders intelligent aus, während er sich zugleich auf die Tonbandanweisungen zu konzentrieren versucht, von der sensationellen akustischen Inszenierung überwältigt ist und Frau Cardiffs Stimme verfällt).
Beim ersten Mal ist Filch so fasziniert von allem, dass er sich gründlich verläuft. Aber die zufälligen Übereinstimmungen und Unstimmigkeiten, sowie Frau Cardiff selbst machen den Spaziergang für ihn doch zu einem großen Erlebnis.
Als er wieder am Brunnen steht, packen die jungen Leute gerade Frischkäse und Aufschnitt aus und beginnen ihn so anzusehen, als wäre er der realen Welt, gelinde gesagt, entrückt. FIlch startet das Band erneut, diesmal hört er den Text auf Deutsch. Er ist FAST richtig gelaufen, aber ein Idyll, das ihn an den Verlust "Der Banalität der Passarelle" erinnert, sieht er jetzt zum ersten Mal. Und nicht nur das! Er ist am Ende des Bands, und obwohl die letzte Station im Rahmen der diesjährigen Ausstellung nicht begehbar ist, so begeistert, dass er sich zu einem dritten Rundgang entscheidet. Diesmal lässt er sich seine Anweisungen wieder von Frau Cardiff persönlich geben.
Die Jugendlichen finden sein erneutes Auftreten am Brunnen mittlerweile schon eher bedenklich als komisch, wahrscheinlich weil er In-fragwürdiger-Gestalt-Kommens-technisch für sie durchaus mit dem Geist von Hamlets Vater mithalten könnte.
Als er nach drei Spaziergängen das Abspielgerät und Kopfhörer zurückbringt, kommt es nach ausgiebigen Versuchen Filchs, sich über Frau Cardiff zu erkundigen, erneut zu der Frage, ob wirklich er derjenige ist, der mit Schild "06" auf der Abbildung im Foyer zu sehen ist. Filch findet, es ist weniger an der Zeit, sich dazu definitiv zu äußern, als vielmehr, das Spiel "Jeder könnte der ´Beggar´sein" auf eine neue Ebene zu bringen. Denn jetzt gibt es ja ein Foto. Und wer jetzt der "Beggar sein will, muss zumindest den Geist der Fotografie verkörpern. Sie versuchen es alle drei, bis der Pförtner anruft, der die Session durch die Videoüberwachungs-Kamera mitbekommen hat und mal anfragen möchte, ob Filch eine Lizenz zum Fotografieren hat.
Obwohl der Pförtner sich mit dieser Frage einfach einen Spaß erlaubt hat und verständlicherweise mitspielen wollte, besteht Filch darauf, sofort eine Foto-Lizenz zu erwerben, die von der Aufsicht mit dem schönen Namen Sophie ausgestellt wird, wofür er eine vorgefertigte Erklärung unterschreibt, ohne sie vorher zu lesen! Als Sophie sie ihm anschließend vorliest, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Erklärung aus Gewissensgründen zu zerreißen: er kann nicht versprechen, dass er die von ihm gemachten Fotos nicht kommerziell zu verwerten gedenkt. ER GEDENKT EIGENTLICH JEDES FOTO, DAS ER MACHT, KOMMERZIELL ZU VERWERTEN. Daraufhin zerreißt Sophie fast augenblicklich seine Lizenz, von der noch gar nicht wusste, dass sie überhaupt schon ausgestellt war.
Dieser Schneid, diese Rigorosität beeindruckt Filch sehr. Besonders wenn sie daran gekoppelt ist, dass ihm im nächsten Moment ein Müsliriegel geschenkt wird.