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Tue 31
Jul 2007

Filch has a plan.

Posted by dora under The Beggar's Diary
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English synopsis. The Beggar's Diary 30.07.07. - Filch has a plan. We cannot tell exactly what the plan is (he is very secretive about it, you know), but we know it all started with Frank Sinatra and "My Way" ("… dass die Stimme ein Lied singt, und welches, und wem sie gehört. Es ist Frank Sinatra. Und er singt: 'My Way'"
http://beta.thebeggarsopera.org/node/93), continued with some rappers he saw on TV (he is very impressionable), and it looks like things are not going to stop there, as he is possessed by a creative fever that apparently leaves him little time to attend his office at the Spiekerhof. Or are we just getting the wrong impression?
In any case, he finally received his black and white photographs in his mailbox
(http://beta.thebeggarsopera.org/node/91), and nothing will stop him now. Just wait and see.

Bettlertagebuch 30.07.07 (Montag)

Noch bevor Filch heute ins "fyal central" geht, überprüft er den Postkasten. Er kann es kaum erwarten, das am Samstag versprochene Schwarz-Weiß-Foto von sich endlich in Händen zu halten. Zum einen, weil er glaubt, dass die analoge Fotografie zurückkommt, zum anderen weil er schon eine vage Vorstellung davon hat, was er mit dem Bild anfangen möchte. Aber es ist noch nicht da. Oder bereits gestohlen. Er ist sich da nach den jüngsten Ereignissen gar nicht so sicher.

Bei seiner aufgeschäumten Milch im "fyal" plant er seinen Tag. Erst muss er seine Zwei-Stunden-Schicht am Spiekerhof abreißen, aber dann wird er sich ganz den Vorbereitungen einer für ihn völlig neuen Ausdrucksform widmen. Und zu diesem Entschluss kam es folgendermaßen:

Als er gestern Abend das "Feuer frei! Currywurst für Anfänger" betrat, waren die Erinnerungen der vergangenen Nacht und seiner Begegnung mit Frank Sinatra noch sehr präsent, aber auf dem Imbiss-eigenen Fernseher lief irgendeine Radsport-Übertragung. Filch überlegte, welche Schärfe wohl Frankie zuerst ausprobiert hätte, und entschied sich endlich für Gradstufe 2, "Einsteiger". Er hat sich eine Apfelsaftschorle mit an seinen Tisch genommen und das Licht der Abendsonne und lässt das gefüllte Glas wie eine goldene Trophäe erstrahlen. Für ihn, denkt er, weil er nicht aufgegeben hat, weil er den "Brückenaffen" gefunden hat. Plötzlich wird die Radsport-Übertragung auch dem Wirt zu langweilig und er schaltet um.
Jetzt geht es um einen Wettbewerb zwischen zwei Rappern. Filch kann es kaum glauben: einer von den beiden wird bald - wahrscheinlich noch während er mit seiner Currywurst beschäftigt sein wird - 100.000 Dollar gewinnen. Er möchte fast aufspringen und rufen: "Und wer versucht seit Samstag, einen Hip-hop-Song zu schreiben? Wer hat wieder mal aufs richtige Pferd gesetzt? Wer hat´s GEWUSST? WER HAT´S GANZ EINFACH GEWUSST?"
Aber von dem Schauspieler, der Danny Ocean spielt, hat er aus einer der Zeitschriften beim Friseur gelernt, dass man nicht gerade sonderlich viel lernt, wenn man sich vorrangig damit beschäftigt, sich selbst zuzuhören. Also nimmt er sein Glas und zieht direkt an den Tisch vor dem Fernseher um.
Von den zwei Runden, die er von dem Kampf noch mitbekommt, und der anschließenden Sendung über einen deutschen Rapper behält er vorrangig drei Dinge, die ihn mehr in dem bestärken, was er sowieso schon zu wissen glaubt, als dass sie ihm wirklich neu wären: 1. Als Rapper brauchst Du Glaubwürdigkeit, "street credibility", und wer hätte die, wenn nicht er ("walking 40 days through the streets of Münster, Baby, 40 days, yeah, Baby, yeah"), 2. Du brauchst Deinen eigenen Stil (Wer hat sich die Haare NICHT färben lassen? Wen scheint sogar Sinatra persönlich dazu zu beglückwünschen, dass er sein eigenes Ding durchgezogen hat? Und wer hat den "Brückenaffen" gefunden?), 3. Du musst radikal ehrlich sein und etwas zu sagen haben. - Gut, denkt Filch, je nachdem, wie das gemeint ist, ist das ja möglicherweise auch schon der Fall.

Auf dem Weg zum Spiekerhof bleibt er kurz am Blumenstand am Prinzipalmarkt stehen, um sich das Angebot anzusehen. Plötzlich wird er von einer jungen Frau angesprochen, die ihn offenbar von irgendwoher kennt. Sie kommen ins Gespräch, und es stellt sich heraus, dass sie selbst Floristin ist. Während er sie noch ein Stück zu dem Gebäude begleitet, in dem sie heute arbeiten wird, erzählt er ein wenig von dem, was er so vorhat, und sie wünscht ihm viel Glück. Er fragt sie, ob sie prinzipiell die Möglichkeit hätte, einen Brief für ihn "mit dem Blumencomputer" zu schreiben und auszudrucken, und sie erklärt sich dazu bereit! - Allerdings, muss er zugeben, wartet er noch auf ein besonderes Foto, ohne das der ganze Brief keinen Sinn ergeben würde.

Am Spiekerhof ist wenig los, bevor es lange und heftig zu regnen beginnt. Filch hat sich vorgenommen, in bester Hip-Hopper-Manier radikal zu zeigen, worauf er steht. Deshalb hält er unter den Arkaden heute nicht nur den Zettel mit der "06" hoch, sondern auch das Buch, aus dem er "mehr gelernt hat als aus jedem anderen": "The Adventures of Sherlock Holmes".
Er wird kaum beachtet. Erst gegen Mittag schenken ihm zwei gut gelaunte Damen eine Banane und lassen sich von ihm und zwei tragbaren Tonbandgeräten mit Kopfhörern erzählen, was es mit Skulptur Nr. 6 auf sich hat. Eine Frau, die in einem der gegenüberliegenden Geschäfte arbeitet und ihn schon oft dort hat stehen sehen, nennt ihn sogar "lieber Filch" und schenkt ihm eine kleine Rolle Haribo "Roulette". Filch fühlt sich sehr geehrt und besteht darauf, sie auf die gegenüberliegende Straßenseite zu ihrem Geschäft zurück zu begleiten.
Ein Mann, der auf den Bus wartet, sieht zu Filch herüber. Dann kommt er näher und schaut, was es mit dem Buch auf sich hat. Schließlich zieht er sein Portemonnaie hervor und schenkt Filch 20 Cent.

Das Foto ist immer noch nicht in seinem Postkasten. Was soll´s, denkt Filch und läuft Richtung Aasee, um im "Gasolin" eine Kleinigkeit zu essen. Er bekommt einen tollen Tisch, hat am Eingang schon gesehen, dass es noch reichlich Kuchen gibt und die Atmosphäre gefällt ihm auch. Aber als er gerade am Tisch sitzt und alles eigentlich fast perfekt ist, stellt er fest, dass er eigentlich Appetit auf Suppe hat. Also steht er auf, verlässt das Café und läuft zurück ins Mocca D´Or, wo er am Samstag nach seinem gescheiterten Friseurbesuch die ersten Entwürfe zu seinem 1. Song (Arbeitstitel: "The Beggar´s Aria")geschrieben hat.
Bei einer Sizilianischen Gemüsesuppe schreibt er alles, was er bis jetzt hat, ins Reine. Es ist ein Anfang, denkt er, als er die letzte Zeile geschrieben hat. Aber die PERFORMANCE wird alles sein.

Filch läuft zur Überwasserkirche und unterhält sich mit der Aufsicht vor Isa Genzkens "Ohne Titel" eine geschlagene Stunde über Hip-Hop und "street credibility", aber so ganz aus dem Stand kann sie ihm keinen Musiker, vorzugsweise Percussionisten, nennen, der bereit wäre, mit ihm gemeinsam seinen Song einzuspielen. Aber sie probieren zusammen ein paar Gesten aus, die er in jedem Fall parat haben muss. Filch will auch unbedingt die Dämonen abwehrende Fingerhaltung des "Brückenaffen" in sein Repertoire mit aufnehmen; aber natürlich nicht, ohne sie vorher zu etwas völlig eigenem zu machen. Einige junge Menschen wollen sich von ihm Isa Genzkens Skulptur erklären lassen, wozu sich Filch gerne bereit erklärt. Er weiß zwar nicht, ob er immer alles ganz exakt im Sinne der Künstlerin auslegt, fühlt sich durch die Vorlagen allerdings reichlich inspiriert.
Im Anschluss an die "Führung, ohne Ihnen durch zu viel Erklärung alles kaputt machen zu wollen" schenken die jungen Leute ihm eine Zigartette und fragen ihn, ob er nicht Lust hat, sie zu Valérie Jouves "Münsterlands" zu begleiten. Er schließt sich ihnen gerne an, da er von dem Film, der Teil der Skulptur ist, bisher nur den Schluss kennt. Als sie in der Fußgängerunterführung am Hindenburgplatz ankommen, sind sogar noch vier Sitzplätze frei, allerdings sitzen sie noch keine fünf Minuten, als der Film schon wieder zu Ende ist. Filch kennt nur den Schluss. Aber den inzwischen schon ganz gut.

Im "Gasolin" gibt es für heute keinen Kuchen mehr. Filch läuft weiter. Er muss Text lernen, der Text muss sitzen, er muss vorbereitet sein, falls ihn eines Tages jemand bittet, etwas zu rappen, was zugegebenermaßen bis jetzt noch nie vorgekommen ist, aber er hat schon genug Leuten erzählt, was er vorhat, und dass er Musiker sucht, mit denen er seinen Song vielleicht einspielen könnte. Dann kann er nicht einfach aus dem Beat kommen und versuchen, seine eigene Schrift zu entziffern. YOU GOT TO LEARN IT BY HEART, FILCH, BY HEART, sagt er sich. Es kann ruhig zwei oder drei Tage dauern, aber sitzen muss es.
Am Domplatz sieht er auf einem Mülleimer ein Plakat von einem jungen Mann im Halbprofil, der eine unglaubliche Ähnlichkeit mit Glenn Gould hat.
Und seine Post ist da! Vorsichtig zieht er das Schwarz-Weiß-Foto aus dem regendichten Klarsichtbeutel.

Filch sucht einen Platz, an dem er lernen kann, und landet schließlich im 1. stock der Universitätsbibliothek. Aber hier merkt er erst, wie erschöpft er ist. Er kann sich kaum aufs Lesen seines Textes konzentrieren. Der Lesesaal ist gut gefüllt mit Studenten, und er hört von überall um ihn herum das leise Klappern ihrer Finger auf den Tasten ihrer tragbaren Computer.
Sie schreiben so viel, denkt Filch, aber wer wir das lesen, wer wird das alles jemals lesen? Dann wird ihm klar, dass sie nur zur Übung schreiben, dass er in gewisser Weise gerade an einem guten Dutzend geistiger Fingerübungen teilnimmt, die alle parallel ablaufen. Ein schönes Gefühl. Hinter jedem Innehalten, hinter jeder Korrektur, jeder Pause, kann man eine ganze Geschichte hören. Beruhigt durch das Geräusch und die besondere Atmosphäre des Lesesaals gestattet sich Filch, für ein paar Sekunden seine Augen zu schließen.