(für Deutsch siehe unten)
The Beggar's Diary 17.06.07
The Beggar interviewed by a national American radio station (sorry we don't know the exact name of the station):
radio station- So, why were you selected to be The Beggar?
The Beggar- I'd like to send back the question to the American people: Why is someone selected?
English Synopsis.- The Beggar is much more at home as Sculpture No. 06 of SPM07 than as a regular, though performed, beggar. This is easy to understand: you have recognition, people are happy to find you, and eager to give things away. The purpose of The Beggar appears clear to everybody - a number in the itinerary of the sculptural promenade - even to The Beggar himself. The existential doubts of the first day seem to have gone away, like the rain. Easily recognized by visitors and gladly tolerated by the owners of the terrace next to which he stands, The Beggar plays with his audience. The audience points out to him that the place where he’s standing does not correspond completely to the one given on the SPM07 map. But they agree with him that his location, right next to that piece of heimat that is the Kippenkerl, is very adequate for a beggar. Very surprisingly for The Beggar, his theoretical raison d'être as sculpture is easily accepted by highly qualified intellectuals and professionals from the art world: it is even indicated to him that the life of a beggar is very similar to the life of a museum director.
Be that as it may, The Beggar enjoys his mobility, and wanders off after a while from point No. 06, only to return some hours later. People have missed him, and when he presents himself as The Beggar to the expectant crowd, a woman lets it be known that, in her opinion, if he is The Beggar, then anyone could be.
Bettlertagebuch 002/120, 17.6.07 (Sonntag)
Meine Schicht beginnt um 10 Uhr am Landesmuseum. Anhand der Flyer von gestern lasse ich mir von einigen hilfsbereiten Münsteranern den Weg zu meinem Standort erklären. Als ich den Spiekerhof erreiche und mich zum "Beggar" (skulptur projekte münster 07, Skulptur Nr. 6) durchfragen möchte, erklären mir zwei Passanten, dass sie auch gerade auf dem Weg dorthin sind.
An Punkt 06 angekommen, lasse ich mir es aber doch nicht nehmen, den ein oder anderen frühen Fußgänger oder Kunstbegeisterten nach dem "Beggar" zu fragen. Man erklärt mir, dass ich schon so ungefähr an der richtigen Stelle sei, dass aber die Skulptur Nr. 6 wahrscheinlich einfach (noch) nicht da sei. Ich frage, ob es wohl in Ordnung wäre, wenn ich - gesetzt den Fall, dass ich auch nach längerem Suchen keine Skulptur finden würde - mich selber als der "Beggar" und Teil der Ausstellung ausgeben würde. Diese Erwägung finden alle der nacheinander Befragten amüsant und keiner moralisch bedenklich. Also baue ich meinen Standort mit allen Objekten, die ich bisher angesammelt habe, und an dem mich gestern, nachdem ich ihn zur Fahrradtour verlassen hatte, sicher einige vermisst haben, wieder auf.
Münster bei Sonne ist eine komplett andere Kulisse als bei Regen. Die ersten Touristen kommen sehr bald, und ich gebe mich mit meinem Papierschild, auf dem nichts weiter als "skultur projekte münster 07" und meine Standortnummer "06" steht, als Skulptur Nr. 6 zu erkennen. Einige Besucher bemängeln, dass die Skulpturen teilweise schwer zu finden sind, aber ansonsten haben die meisten Sommerlaune. Einigen gelingt es sogar, beides miteinander zu verbinden. So erklärt mir ein sehr um Klarheit bemühter Herr, dass ich mich nicht am auf der Karte angegebenen Standort befinde und bietet mir an, mich zu meinem eigentlichen Standort zu bringen. In einer improvisierten Theaterszene, an der sich auch zwei australische Touristen beteiligen, die gerade auf der Suche nach dem "Beggar" sind, machen wir uns auf den Weg zur Biegung der Aar, an dem mein Standort auf der Karte verzeichnet ist. Seine Begleiterin passt währenddessen auf meine Sachen auf und hält die Stellung, was sie kurzfristig zur Skulptur Nr. 6 werden lässt. Wir finden den Standort, der wahrscheinlich auf der Karte gemeint ist, aber er wäre praktisch nur über das Wasser zu erreichen, und mein Wegbegleiter räumt ein, dass ich meinen ursprünglichen Standort vielleicht doch nicht allzu schlecht gewählt habe.
Den Rest des Vormittags verbringe ich mit Tauschaktionen und sehr interessanten Gesprächen mit Mitgliedern der internationalen Kunstszene. Interessant ist, dass hauptsächlich Künstler mir immer wieder neue Tauschobjekte zukommen lassen: Postkarten, Kataloge, Einladungen zu anderen Kunstausstellungen. Bald hat sich die Anzahl der Objekte, die ich anzubieten habe, verdoppelt. Aber ich freue mich auch über einen Presseausweise aus Kassel, dessen Angebot Filchs Sortiment einen zaghaften Anstrich von moralischer Sorglosigkeit gibt. Überhaupt empfindet er den Umgang mit Künstlern, Kuratoren, Museumsdirektoren, Journalisten und Essayisten als erstaunlich unproblematisch; und als ihm erklärt wird, dass das Leben eines Museumsdirektors und eines Bettlers eine Menge gemein haben, beginnt er, ungeahnte Möglichkeiten für seine Zukunft zu wittern. Etwa in dieser Stimmung gibt er ein Interview für den US-amerikanischen Rundfunk.
Um die Mittagszeit fahre ich mit zwei sehr freundlichen Damen aus Spanien zu einigen Skulpturen in der Nähe des Schlosses. Es ist vielleicht ganz schön, am Punkt 06 mal eine Zeitlang vermisst zu werden, und die Aussicht, in einem Taxi durch die Stadt zu fahren ohne es selbst bezahlen zu müssen, ist natürlich sehr verlockend. Nach einem Mittagessen und einigen Fachsimpeleien über Max Ernst und die weiblichen Vertreter des Surrealismus, mache ich mich wieder zum Dienst an Punkt 06 auf.
Man hat mich vermisst. Obwohl eine Besucherin erklärt, wenn ich der "Beggar" bin, dann könnte es ja jeder sein. Eine interessante These, deren Äußerung gekoppelt mit der Infragestellung von Filchs Existenzberechtigung sie natürlich mit einem Foto bezahlen muss.
Der Tag bekommt eine neue Wendung als eine New Yorkerin Filch Zigaretten schenkt, die in den USA von Indianern vertrieben werden und ihm erklärt, dass diese Zigaretten in Amerika erschwinglich wären, da den Ureinwohnern - aufgrund des nicht unbegründeten schlechten Gewissens der US-Regierung ihnen gegenüber - steuerliche Sonderrechte beim Verkauf von Alkohol und Tabak eingeräumt würden. Filch wird später drei Zigaretten gegen einen Kunstkatalog vom "Sheffield Pavillon" tauschen. Als Filch austreten muss, bittet er zwei Damen, auf sein Geld aufzupassen.
Es folgen Geldspenden aus Chile und Mexico. Außerdem kommen noch drei Dollar hinzu: zwei aus Singapur, einer aus Washington. Filch ist überzeugt: mit dem amerikanischen Dollar wird er richtig ernst genommen werden.
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