English synopsis, The Beggar's diary, 19.07.07. - Today at the Prinzipalmarkt there is something exceptional going on. Television crews are everywhere. As a natural impulse, Filch walks very slowly in front of the cameras. He has no idea what is happening, but whatever it is, he will be on television.
After some research, he finds out that the American ambassador is visiting and that, coincidentally, he is scheduled to have lunch right in front of Filch's shop at the Spiekerhof. Determined, Filch opens up his writing business just like yesterday and hangs up his list of prices. A security guard pops up, apparently to talk to him, and gets the dialogue going with a question about his license. Filch explains he is part of SPM07 and the matter seems settled. But after reading the price list, the guard explains to Filch that if he asks money for an artistic service he is working as a service provider and his role in SPM07 should be considered as a supplier of services. "Exactly!" is Filch's joyful answer, radiant at having finally been understood. "Well, then you need a license. If you don't have one, you must restrict yourself to donations. You’re not allowed to ask for honoraria". Again, Filch feels caught in his inexperience of the real world.
This conversation, and the heavy surveillance going on at the Spiekerhof because of the American ambassador's lunch, makes Filch extremely concerned about legality and illegality. Why is it that people consider famous robberies as "masterworks" and bandits sometimes as "masterminds"? "Because of the intelligence involved" someone tells him. Well, what if he should steal a lot of money and settle in Tuscany as shoemaker? Wouldn't people over there ask questions about how he got his money? "When you have a lot of money, no one asks you questions about how you got it; it’s only when you don't have enough money that you get asked that," he’s told again by someone.
Fich's head boils with plans and master plots. To calm down, he starts reading the notebook that Mr. Jamaison gave him yesterday, with the title: "In dialogue with Sculpture Projects using as examples No. 06 by Dora Garcia and No. 08 by Marko Lehanka." Filch keeps wondering why Mr. Jamaison never had trouble finding him, The Beggar, the supposedly impossible-to-find sculpture. Maybe because he knew who he was looking for? Well, if Filch ever commits that spectacular robbery and escapes to Tuscany, the Muenster police now know whom to contact in order to find him: Mr. Jamaison, of course.
Another remarkable encounter today: two artists from Chicago commission him to write a love letter from the artist "Ibis" to his audience, addressed as "My lover". Ibis just wants to give his audience "love". Filch writes the letter.
And finally, the sale of his work, inspired by No. 06, "The proof and the excuse", takes place at the golden cage of SPM07. Should he be ashamed of his commercial success? "No," his beloved audience tells him. "Money is just a means, you have it one day, you lose it the next: money is not personality".
Money Is Not Personality.
MINP.
Bettlertagebuch 19.07.07
Am Prinzipalmarkt geht irgend etwas Besonders vor. Überall steht Polizei und etwa auf der Höhe von Marko Lehankas "Blume für Münster" werden ganz offensichtlich Fernsehaufnahmen gemacht. Als alter Profi geht Filch in normalem Tempo im Hintergrund durch das Bild, ohne direkt in die Kameras zu sehen. Ein hübscher Einstieg in den Tag, denkt er: uninformiert aber mit perfektem Timing die aufgezeichneten Szene gerade noch mit seiner Signatur versehen zu haben.
Auf dem Weg zum Spiekerhof fragt er einen Journalisten, was es heute gibt. Der Journalist erklärt ihm, dass der amerikanische Botschafter zu Besuch ist. Filch bedankt sich und schließt sich dem Pulk für ein paar Meter an. Sie haben einfach zufällig alle den gleichen Weg; aber während Filch einfach zu Punkt 06 möchte, um zu frühstücken und mal zu schauen, was heute so geht, ist der Botschafter mit seinen Begleitern im sehr bekannten Restaurant ihm direkt gegenüber zum Mittagessen verabredet.
Filch hat seine literarische Preisliste aufgehängt, das Tuch ausgebreitet, mit ein paar erlesenen Waren beschwert und sein Brötchen ausgepackt, als ein Ordnungshüter auf einen kleinen Plausch vorbeischaut, den er mit der Frage nach Filchs Gewerbeschein eröffnet. Da er aber sofort bemerkt, dass Filch zur "skulptur projekte"-Ausstellung gehört, hat sich die Sache erst einmal erledigt. Während der folgenden Unterhaltung kommen sie auch auf die Preisliste zu sprechen und Filch wird darauf hingewiesen, dass die Veranschlagung eines festen Preises für das Erbringen einer künstlerischen Anstrengung eben diese zur Dienstleistung macht. Filch ist begeistert: "Genau das soll es sein! Eine Dienstleistung." Er freut sich sehr, verstanden zu werden, wird aber darüber aufgeklärt, dass er dafür einen Gewerbeschein bräuchte. Ohne Gewerbeschein müsste er sich auf Spenden beschränken.
Wieder sich selbst überlassen befindet sich Filch in der merkwürdigen Stimmung, in der er sich immer befindet, wenn er feststellt, dass das Leben komplizierter ist, als er es sich vorgestellt hat. Es ist das Gefühl, einen Teil seiner Hausaufgaben vergessen zu haben. Nicht mutwillig nicht erledigt sondern wirklich und ehrlich vergessen zu haben, und er fragt sich, ob es eine Frage des Charakters ist, ob man sich mit mutwillig nicht gemachten Hausaufgaben besser fühlen kann als jemand, der sie aus Versehen vergessen hat. Eine schleichende Verzweiflung droht sich seiner Laune zu bemächtigen. Dann holt er den Rotstift aus der Tasche und schreibt unten auf seine Preisliste als letzten Posten: "Magisterarbeit 6.000 Euro", wonach er sich ein wenig besser fühlt. Und es heitert ihn auch ein wenig auf, als er zwei Mädchen ein rosafarbenes und ein hellblaues Stück Straßenkreide schenkt. Aber die Heiterkeit kann die Wogen seiner tiefen innere Aufgewühltheit nicht vollständig glätten, und er entschließt sich, mich anzurufen.
Ich hatte mir gedacht, dass es an dieser Stelle ganz schön wäre, mal wieder eine richtige Szene zu spielen. Also lasse ich Filch mit mir telefonieren. Jeder kann dabei zusehen, es ist nur so eine alltägliche Szene, dass sie niemand für eine Theaterszene halten würde. Ein kleiner Monolog, in dem Filch mir erklärt, dass er meine Reiseschreibmaschine nicht mehr braucht, und dass ich sie mir heute Abend am Goldenen Käfig abholen kann, da er sowieso da sei, um sein Bild "Der Beweis und die Ausrede" zu verkaufen. Es wäre eine schöne Szene für Peter Lorre. (Ich spiele sie ein wenig zurückhaltend und versuche, Filch sowohl gereizt als auch um Höflichkeit bemüht klingen zu lassen. Er versucht, einem Freund gegenüber dankbar zu sein, dessen Versuch ihm Verständnis entgegen zu bringen, ihn aber immer gereizter werden lässt.)
Während der Spiekerhof so gut wie sonst kaum jemals in seiner Amtszeit überwacht wird, macht sich Filch viele Gedanken über Illegalität. Ihm fällt unter anderem wieder ein, dass er Ende letzter Woche im Radio gehört hat, dass im Irak oder sonst irgendwo im Nahen Osten ein paar Männer vom Sicherheitspersonal einer Bank Geld, das sie bewachen sollten, einfach entwendet haben. Filch hat keine Ahnung, wie oft oder wie selten so etwas vorkommt, aber in diesem Fall war es eine Meldung wert, da die Beute etwas über 200.000.000 Dollar betrug.
Kaum jemand von den Besuchern am Spiekerhof scheint diese Meldung mitbekommen zu haben, obwohl alle behaupten, mehr oder weniger regelmäßig die Nachrichten zu verfolgen, aber mit einem Besucher - mutmaßlich aus der Schweiz - unterhält sich Filch darüber, wohin man sich mit 200.000.000 Dollar zurückziehen könnte. Sie einigen sich schließlich auf die Toskana. Sein Gegenüber würde ein Weingut kaufen, Filch würde gerne einen Laden als Schuhmacher betreiben. "Aber", fragt Filch seine neue Zufallsbekanntschaft, mit der er gerade im Geiste 200.000.000 Dollar auf die Seite gebracht hat, "würde es nicht auffallen, wenn ich plötzlich genug Geld hätte, um einen Schuhladen zu eröffnen?" Sein Gesprächspartner erklärt ihm: "Wenn Du Geld hast, fragt Dich keiner mehr nach irgendetwas. Das passiert nur, solange Du keins hast," Filch findet diese Aussage vielleicht auch deshalb so erfrischend, weil sie vor dem Hintergrund von einem Streifenwagen, einem Polizeimotorrad und einem gerade ankommenden Polizeifahrrad geäußert wird.
Der Vater einer sehr ausgeglichene Familie, der Filch als Skulptur zunächst wahrscheinlich eher mäßig spannend findet, zitiert einen Aphorismus unbekannter Herkunft: "Ein größeres Verbrechen als eine Bank auszurauben ist, eine zu gründen." Aber das Thema Bankraub belebt das Gespräch ungemein, und Filch fragt die ganze Familie, was an Räubern und Dieben eigentlich am meisten bewundert wird, wenn man von "meisterhaften Plänen" oder einem "Meisterstück" spricht. "Die Intelligenz", ist sich die ganze Familie einig, und sie verständigen sich mit Filch dahing gehend, dass bei dem Coup jedoch keiner körperlich oder seelisch zu schaden kommen darf.
Das Thema beschäftigt Filch natürlich nur rein theoretisch, aber immerhin so sehr, dass er sich zu folgender Frage hinreißen lässt: "Glaubt man vielleicht, dass Menschen, die sich Pläne ausdenken, die ihnen ein unglaubliches Vermögen verschaffen, und in der Lage sind, sie umzusetzen ohne dass dabei jemand körperlich oder seelisch zu schaden kommt, dieses Geld letztendlich auch irgendwie - verdienen möchte ich nicht sagen - aber behalten können sollten?"
Seine nächsten Besucher rücken seine Vorstellungen insofern wieder zurecht, als dass sie klarstellen, dass Aufsichtspersonal, das die Seiten wechselt, nie bewundernswert ist, und dass ein Leben in ständiger Flucht oder Angst vor dem Entdecktwerden auch nicht gerade erstrebenswert sei.
"Wenn Sie so viel Geld erbeutet haben, dann werden sie auch irgendwann gefunden." Filchs Problem ist: er kann sich immer voll in die Szenarien hineinversetzen, die seine Gesprächspartner entwerfen, und sieht sich schon schweißgebadet nachts in der Toskana über seinem Schuhmacherladen wachliegen.
Um sich zu beruhigen schaut sich Filch ein Heft an, dass "Monsieur Jamaison" ihm gestern geschenkt hat, und das den Titel "Im Dialog mit dem Skulpturenprojekt Münster 07 am Besipiel der Skulpturen 06 von Dora Garcia und 08 Marko Lehanka" trägt. Filch denkt darüber nach, wie viele Leute sich bis jetzt schon darüber beschwert haben, dass er als Skulptur Nr. 6 einfach nicht aufffindbar sei, dass Monsieur Jamaison damit allerdings nie Probleme zu haben scheint. Wahrscheinlich weil er weiß, nach wem er suchen muss, denkt Filch, und stellt sich vor, dass er über seinem Schuhmacherladen in der Toskana verloren wäre, wenn die Polizei Monsieur Jamaison dazu überreden könnte, bei der Suche nach ihm behilflich zu sein.
Seine beiden nächsten Besucherinnen möchten eins seiner Fotos kaufen und meinen, dass er mit seiner Forderung von 2,- Euro zu wenig verlangt! Sie geben ihm vier und eine der beiden hat Lust dazu, einen Liebesbrief in Auftrag zu geben. Heute noch, denkt Filch, und willigt ein, ihn in einer Stunde fertig zu haben. Er benutzt die ganze Angelegenheit als willkommenen Anlass für einen Ortswechsel vor die Mauer des Landesmuseums am Domplatz. In der Zwischenzeit hat sich der amerikanische Botschafter sehr diskret verabschiedet, ohne dass Filch ihn jemals richtig gesehen hätte.
Den Brief soll Filch als Gefühlsmensch schreiben, der einen auf Kopfmensch macht. Filch prägt hier den Begriff der "industrieromantischen Poesie": einfach, grob, fordernd, gängigen Kitsch vermeidend. Filch empfindet den Brief als einen seiner besten.
Noch bevor er abgeholt wird, kommen einige Künstlerinnen aus Chicago, die sich zunächst für Skulptur Nr. 6 interessieren sich aber bald ebenfalls dazu entschließen, sich einen Liebesbrief schreiben zu lassen. Der Brief ist insofern eine neue Herausforderung für Filch als er 1. auf Englisch und 2. von einem das gesamte Künstlertum repräsentierenden Autor namens "Ibis" an sein Publikum, das mit "My Lover" angesprochen wird, verfasst sein soll. Der Stil sollte unbeholfen, aber flirtend, der Brief selbst letztendlich auf subtile Art explizit sein. "Cute mistakes" nicht ausgeschlossen. "Ibis", wird ihm noch mit auf den Weg gegeben, "wants to give love." Klar, denkt Filch, und fängt an zu schreiben.
Als er eine halbe Stunde später mit dem Brief fertig ist, ist er völlig ausgelaugt, aber die Anerkennung der Damen aus Chicago lässt ihn vor Freude in die Luft springen. Sie versprechen sogar, den Brief abzuschreiben und an www.thebeggarsopera.org zu schicken.
Nach einer kurzen Pause schreibt Filch seinen sechsten Liebesbrief in Folge. Dann wird es Zeit, sein Bild "Der Beweis und die Ausrede" zu verkaufen. Er geht zum Goldenen Käfig und erlebt eine Überraschung: die Käuferin ist selbst Künstlerin, und bringt ihm nicht nur das angekündigte eigene Werk mit sondern auch noch sieben Exemplare der "Filchrolle": das Tagebuch vom 07.7.07 in Bonbonform!
Als Abschluss seines Tages schreibt Filch bis kurz vor zehn an einem Gedicht anlässlich einer silbernen Hochzeit. Währenddessen unterhalten sich zwei Schwestern mit ihm, von denen ihn eine vergeblich fragt, woher er "wirklich" kommt. Filch bleibt dabei: er ist der "Beggar" aus der "Beggar´s Opera". Why do you build such big walls around you?", fragt sie ihn.
Um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, fragt er sie nach Geld, und sie schenkt ihm 20 Euro. Für die Nichtbeantwortung einer Frage findet er das wirklich verdammt großzügig. Darüber hinaus hat sie Verständnis dafür, dass er versprochen hat, alles zu versuchen, damit das Gedicht bis zehn Uhr fertig wird. Er fühlt sich etwas beschämt, das Geld anzunehmen, aber sie besteht darauf, dass er sich nicht beschämt fühlen soll und möchte noch nicht einmal irgendeine Kleinigkeit aus seinem Sortiment als Gegengeschenk annehmen. Sie gibt ihm den Rat, Geld nicht überzubewerten und daran zu denken, dass man immer Geld haben, und es am nächsten Tag schon wieder verlieren kann: "Money is not personality."
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