English synopsis, The Beggar's diary, 18.07.07.- Today Filch asks me today if he can borrow my typewriter, and of course I say yes.
He goes to the Spiekerhof carrying my typewriter and two stools: one for the typewriter, and one for him. On the wall he hangs a sign:
Poems – 15 euro
Short stories- 15 euro
Love letters- 10 euro
Grievance letters- 11 euro
He lights up one of his fake cigarettes. His favorite street band positions itself just next to him and, undoubtedly to please him, start playing "Mackie Messer" (“Mac the Knife”, from The Threepenny Opera). One of the musicians seems interested in his writing services. Filch explains the menu to him:
Poem: regular poem, free verse, ode or sonnet. Rhyming is optional.
Short stories: In the first or third person. Peaceful or wild, crime, lyrical, or love story—the last category offers the choice of romantic or erotic. If erotic: the main character can be actively erotic or passively erotic. Happy or open end.
Love letter: these can openly express romantic feelings, or test how much those feelings can be expressed without getting hurt. Should they look spontaneous or carefully thought out? Are grammatical faults allowed, indeed even welcome, as evidence of the impetuosity of the feelings?
Grievance letters: bitter or imperative? Totally mad or contained?
Although impressed with the menu, the musician orders nothing in the end. A couple approaches him and tells him that they have been observing him "the whole time" and that "they know who he is". They would like to know if they’ll appear in the diary when he writes it in the evening.
Apparently they do not know that I am the one who writes the diary, and not Filch.
The woman tells Fich that as a young student she was taught by the Pope—before he became Pope, of course. Filch does not tell her that this is more than enough to guarantee her a spot in the diary.
In the afternoon, slightly disappointed by his morning experience, Filch establishes The Beggar's writing shop next to the Landesmuseum. Almost immediately he receives three commissions, all of them love letters. He composes them diligently.
18.07.07
Von dem Moment an, in dem Filch meine kleine Reiseschreibmaschine findet und mich fragt, ob sie echt ist, weiß ich, dass er sie zumindest geliehen haben möchte.
Die halbe Nacht hat er wachgelegen und sich gefragt, warum der Verkauf seiner Bilder weit hinter seinen Erwartungen zurückgeblieben ist.
Aber manchmal ist es so, dass Filch Sätze, die er irgendwann einmal aufgeschnappt, und von denen man möglicherweise überhaupt nicht glaubt, dass er sie mitbekommen hat, nach Jahren wieder erinnert und sie feiert, als wären sie das fehlende Glied in der Kette oder das einzige Puzzleteil, das noch zur Vollendung gefehlt hat. In diesem Fall ist es ein Satz, der seiner Meinung nach auf die von ihm sehr verehrte (aber noch in keinem einzigen Film gesehene) Schauspielerin Julianne Moore zurückgeht. Dem Sinn gemäß besagt dieser Satz, dass die Leute nicht ins Kino gehen, um sie zu sehen, sondern sich selbst.
Inmitten der Fahrräder geht er fast unter, aber auch im Stehen wird er eine geschlagene Stunde lang überhaupt nicht beachtet. In dieser Zeit dreht er den 35-sekündigen Kurzfilm "Menschen am Mittwoch", der zweifelsohne von Robert Siodmaks "Menschen am Sonntag" und Suchan Kinoshitas "Chinese Whispers" beeinflusst ist.
Filch kündigt seine Ankunft am Spiekerhof wie bereits gewohnt zweifach an, nur hat er dieses Mal bedeutend mehr Gepäck: neben meiner Reiseschreibmaschine hat er sich in Büro des Landesmuseums noch einen kleinen Kinderschemel geborgt, von dem aus man bequem die Tasten der Schreibmaschine erreichen kann, wenn sie auf einem Stuhl vor einem steht.
An die Wand zwischen den beiden Schaufenstern des Damenoberbekleidungsgeschäfts hängt er ein Plakat:
"Gedichte ab 15 Euro
Kurzgeschichte 15 Euro
Liebesbriefe 10 Euro
Beschwerdebriefe 11 Euro".
Da er neben allen anderen Sachen nicht auch noch einen Tisch transportieren konnte, hat er die Schreibmaschine noch nicht ausgepackt und bald kommt ihm der Verdacht, die Leute könnten glauben, er würde bereits geschriebene Gedichte, Kurzgeschichten, Liebes- und Beschwerdebriefe verkaufen!
Um sich als aktiver Schriftsteller der alten Schule kenntlich zu machen und sich - zumindest für heute - von allen Gebrauchtwarenhändlern der Welt zu distanzieren, überredet er sich dazu, eine Nelkenzigarette zu rauchen. Kaum brennt sie, kommt seine Lieblingsband und stellt sich auf den einzig freien Platz direkt vor ihm. Um ihn zu besänftigen, lassen sie ihren Klassiker "Johnny" fast nahtlos in "Mackie Messer" übergehen. Und sie lassen sich von ihm filmen!
Als sie sich verabschieden, halten sie ihm freundlicherweise nicht ihren Becher hin, sondern es wird ihm sogar die Hand gereicht und zwei Musiker fragen ihn nach einer Zigarette.
"Ist das eine normale", wird er gefragt.
"Nein", gibt er zu, "Nelke."
"Wie bitte?"
"Das ist eine Nelkenzigarette."
Einer nimmt sie, ein anderer nicht.
Merkwürdigerweise hat die Tatsache, dass er raucht, zur Folge, dass er zum ersten Mal am heutigen Tag angesprochen wird. Aber auch die Wirkung der Nelkenzigarette bleibt nicht aus. Filchs Verhalten ändert sich: Er wird im ganzen langsamer und auf leicht beunruhigende Art gleichgültiger.
Sehr ruhig erklärt er dem Mann, der ihn gefragt hat, ob die zum Verkauf angebotenen Gedichte immer trauriger werden, je länger er ohne Auftrag verweilen muss, dass die Stimmung der Gedichte von seiner eigenen Stimmung völlig unabhängig ist und erklärt ihm, während der Mann sich neben ihn hockt, zwischen welchen Optionen seine Auftragserteiler wählen können:
Gedichte. Einfaches Gedicht, freies Gedicht, Ode oder Sonett. Überhaupt bei Gedichten: gereimt oder ungereimt.
Kurzgeschichten. Ich-Erzähler oder auktorialer Erzähler. Von der Stimmung her: eher ruhig oder eher wild? Kriminalistisch, lyrisch oder eine reine Liebesgeschichte? - Erotisch oder eher dezent? - Falls erotisch: sollte die Hauptfigur eher aktiv oder eher passiv sein? - Happy End oder lieber eins, das nachdenklich stimmt? - Und: "Möchten Sie Ihr Ende lieber sehr deutlich oder nur angedeutet?"
Liebesbriefe. Mutmaßlich von einem Gefühls- oder lieber von einem Kopfmenschen verfasst, der ausnahmsweise mal versucht, einen auf Gefühl zu machen? - Oder vielleicht von jemandem, der sich für einen Gefühlsmenschen hält, der seine wahre Natur aber nicht völlig verleugnen kann?
Sollten die Liebesbriefe souverän oder lieber unbeholfen geschrieben sein? Möglichst fehlerfrei oder mit leichten grammatikalischen oder syntaktischen Unebenheiten?
Beschwerdebriefe. - Vom Tonfall her eher sauer oder eher überlegen? Sollte der Schreiber prinzipiell im Recht oder im Unrecht sein? Hat er sich im Griff oder ist er völlig unbeherrscht?
Irgendwie ist der Mann schon beeindruckt von seinem Katalog, aber er bestellt nichts. Fragt ihn nur, ob seine Sonette von der Aufteilung her eher shakespearisch oder petrarchich seien. Sie einigen sich auf petrachisch.
Dann besucht ihn eine Frau, die erzählt, dass sie und ihre Begleiter wüssten, wer er sei und ihn auch "die ganze Zeit" beobachtet hätten, dass sie sich aber fragen würden, was von dem, was er beobachtet, abends ins Tagebuch käme? - Mit dieser Frage ist Filch völlig überfordert. Zum einen, weil ich das Tagebuch schreibe und nicht er, zum anderen weil es noch verhältnismäßig früh am Tag ist. Aber sie unterhalten sich trotzdem sehr angeregt weiter, und sie erzählt Filch, dass sie als Studentin Vorlesungen beim jetzigen Papst gehabt habe. Filch sagt ihr nicht, dass das locker reicht, um ins Tagebuch zu kommen, und lässt sie stattdessen noch ein Foto von sich schießen, auf dem er "so tut, als ob er sich langweile und auf Aufträge warte".
Vielleicht, denkt Filch, ist der Spiekerhof einfach nicht das geeignete Pflaster für seine Art von Literaturbetrieb und kündigt bei den Informationen am Domplatz und im Goldenen Käfig sein Erscheinen zur 2. Runde um 16.15 Uhr direkt an der Mauer vor dem Domplatz an.
Filch erbaggert sich Papier im Büro und einen Stuhl im Foyer des Landesmuseums. Und jetzt, mit ausgepackter Schreibmaschine und in die Maschine eingespanntem Bogen, kündet sich tatsächlich erstes ernst zu nehmendes Interesse an, und eine Dreiviertel Stunde später hat er seinen ersten Auftrag: einen Liebesbrief. Er nimmt die Bestellung auf und erbittet sich dafür eine halbe Stunde Zeit. Aber noch bevor er angefangen hat, kommt schon der 2. Auftrag. Wieder für einen Liebesbrief! Filch bittet um eine Stunde.
Er ist gerade dabei, die ersten Zeilen des ersten Briefes zu schreiben, als ein Museumsangestellter ihn darauf aufmerksam macht, dass er durch das Anheften des Plakats an eins der Fenster zum Landesmuseum einen Alarm ausgelöst hat und dass ein Polizeieinsatz gerade noch verhindert werden konnte. Er entschuldigt sich und hängt das Plakat sofort um, versucht aber trotz allem in Stimmung zu bleiben.
Er schafft den ersten Brief in der vorgegebenen Zeit, und als er abgeholt wird feiert er mit seinen Kunden ein wenig Premiere. Der Brief geht nach Hamburg.
Der zweite Brief ist mehr ein Begleitbrief zu einem Geschenk. Filch ist sehr aufgeregt, als er abgeholt wird.
Dann kommt ein dritter Auftrag. Überraschenderweise auch für einen Liebesbrief. Interessanterweise der dritte Brief, den er an einem Tag aus der Sicht einer Frau an einen Mann schreibt. Diesmal darf er aus der Sicht eines weiblichen "Gefühlsmenschen" schreiben, der etwas unbeholfen ist; der ein oder andere Fehler darf sich einschleichen, der Brief soll intensiv werden, darf die Grenze zum Kitsch ruhig des Öfteren überschreiten, und ein weiterer Wunsch der Auftraggeberin ist es, dass das Wort "Schläppchen" darin vorkommt.
"´Schläppchen´?", fragt Filch.
"Ja", sagt die Auftraggeberin, "´Schläppchen´ oder ´Badeschläppchen´ - wie beispielsweise die da!" Sie zeigt auf die Schuhe eines Passanten, der gerade in kurzer Hose und Flip-Flops an ihnen vorbeigeht.
Überflüssig zu sagen, dass Filch in diesem Auftrag völlig aufgeht.
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