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05.07.07, English synopsis
There is no question about it: today has been a very special day for Filch.
He could hardly fall asleep with thoughts crossing his head at the speed of light. As he opens his eyes, all he thinks about is how hard it will be to wait until 17:00, when he’s supposed to meet Constanze.

After a very didactic visit to a stuffed animal shop, he makes his way to No. 06 at the Spiekerhof. From the small events happening there he deduces the following: lies are easily told and believed, while the truth is always unbelievable. Think about how hard he had to work to convince the public that the cables he was selling were once part of Isa Genzken’s original installation. This same public, however, instantly believed his English accent was genuine (Filch, according to Brecht and Gay, was born in London), as they believed right away that the Bicycle shop pocket book by Viola Bayley was a actually written by Bill Viola, under that pseudonym.

The time has come to go to the Dom to meet Constanze. He arrives ten minutes early (so as not to be disappointed because she is not there) and waits. While waiting, Constanze’s features become more and more blurred in his memory, until he really can't recall her features anymore. He could not possibly identify her in the crowd. What color was her hair? her eyes? They met so briefly … and, suddenly, she could be just any girl, just as he could be any guy. He starts to get an idea of how the SPM07 public feels when looking for him: just the way he feels now looking for Constanze.
He leaves the Dom Square at 18:30, heartbroken.

Bettlertagebuch, 05.07.2007
Es steht außer Frage, dass dies ein besonderer Tag für Filch ist. Die Nacht hat er kaum geschlafen, den Kopf voll mit sinnigen und unsinnigen Gedanken. Hat er denn die Zettel wirklich an den richtigen Stellen aufgehängt? Und dann war die Begegnung mit Constanze ja so kurz – was wenn er sie gar nicht wieder erkennen würde? Nein – das würde nicht passieren, das weiß er. Aber er ist ja größer als sie, vielleicht hat er die Zettel zu hoch gehängt… Es beinahe keine Eventualität, die ihm nicht durch den Kopf schießt. Und bis zum Nachmittag ist es noch lang. Auf seinem heutigen Weg in die Stadt bemerkt er zum ersten Mal ein seltsames Geschäft. Es ist voll gestopft mit toten Tieren aller Art. Am Eingang hängt ein Schild: Rehgehörn aufsetzten 26,- Euro. Er betritt den Laden, und muss sofort grinsen, als er sich den Mann mit dem zerzaustem Haar, der ihn begrüßt mit einem Hirschgeweih auf dem Kopf vorstellt. Gerne würde er für diesen Anblick Geld bezahlen, aber sicherlich nicht 26,- Euro. 2 wären das Maximum. Die Tiere sind alle echt, oder besser waren alle echt – erfährt Filch. Auch das Löwenbaby in der Ecke. Dieses sei aber nicht in freier Wildbahn geschossen worden, sondern käme aus dem Zirkus oder dem Zoo. Es ist schon seit 7 Jahren in seinem Laden – bei dem Preis von 750,- Euro wundert Filch das nicht. Ihm fällt auf, dass der Präparator, die Herkunft des Löwen wie eine Entschuldigung vorträgt – kann aber nicht feststellen, was daran besser sein soll nach einem schlechten Leben ausgestopft im Laden zu enden oder nach einem guten. Die Pferdefüße werden vornehmlich von Tiermedizinstudenten gekauft und zum Examen verschenkt. Oder eben als Aschenbecher genutzt. Filchs innere Skepsis scheint trotz allem zur Schau gestellten Interesses von dem Mann bemerkt worden zu sein. Seine Werkstatt will er ihm nicht zeigen und um ehrlich zu sein will Filch sie auch nicht sehen. Er vermutet allerlei Bizarres dort, was man besser nicht sieht. Bevor er geht, erkundigt er sich noch beiläufig, ob denn der Totenschädel neben dem Küken auch echt sei? Ist er zu seiner Erleichterung nicht. Ein Abguss eines Neandertalerschädels. Warum nur, so versucht er herauszubekommen, werden Leute, die den ganzen Tag zwischen toten Tieren zubringen als normal betrachtet und er, einer der versucht die Geschichten der Lebenden herauszubekommen, als seltsam?
Schon seit geraumer Zeit fällt ihm auf, wie die Leute nahezu alles als gegeben hinnehmen, nur die Wahrheit belächeln sie immer wieder und ziehen sie in Zweifel. Filch baut heute seinen Laden wieder am Punkt Nummer Sechs auf. Verlegt den Standpunkt aber ein wenig weiter in die Arkaden hinein, weil der Wind heute allzu kalt daher bläst. Die Zeit bis zum Nachmittag erscheint ihm endlos. Und zu allem Überdruss ist sie auch noch sehr ereignislos. Als die Verkäuferin der vornehmen Bekleidungsgeschäftes ihn bittet, doch mal etwas anderes, ein wenig fröhlicheres auf der Gitarre zu spielen, muss er sich eingestehen, dass die beiden Lieder ihm selbst ein wenig auf die Nerven gehen. Aber solange er Musik macht, schauen die Leute einfach genauer auf seinen Laden. Wahrheitsgemäß antwortet er, dass er nur diese beiden Lieder könne – und wie so häufig mit der Wahrheit, glaubt sie ihm sie nicht. Der Mann mit dem Kulturpessimismus hingegen, bemerkte sofort seinen (in Wahrheit nicht vorhandenen) englischen Akzent, als er erfuhr, dass Filch in England geboren sei. Für die original Ersatzteile der Genzken Installation muss er enorme Überzeugungsarbeit leisten, wenn er aber erzählt, das Fahrrad-Laden-Taschenbuch von Viola Bayley, sei ein Frühwerk von Bill Viola unter einem Pseudonym (weil er Geld brauchte) wird es wiederum für bare Münze genommen. Im Gegenteil, es erhöhte den Verkaufspreis erheblich. Filch ist daher froh, dass er heute die Karte mit der Aufschrift „Lügenmusem.de“ gefunden hat. Sie ist für ihn so etwas wie eine Entschuldigung dafür, dass er die Wahrheit manchmal etwas ausdehnen muss. Alles in allem stellt er fest, dass die Realität immer etwas widersprüchlicher ist, als die Lüge. So wie die beiden linken Nazi-Punks, die gerade vorbeikommen. Sie tragen schwere, schwarze Stiefel und blaue Jeans und einer auch einen schwarz-rot-goldenen Gürtel. Die Haare habe sie sich abrasiert. Daneben sind aber auch eine Reihe von Anarchisten „A“s auf ihre Jacke gemalt, so wie große AC/DC Aufnäher angebracht und Filch entdeckt ein Symbol, das die Buchstaben „SS“ als Fragezeichen darstellt. Vorsichtshalber verzichtet Filch darauf ein Foto von ihnen zu machen.
Dann ist da noch die Frau, die eine neu gekaufte Blumenvase wie ein Baby im Arm hält. Und mit ihren Gedanken offenbar sehr weit weg. Das ist auch so ein Problem mit der Realität, denkt Filch. Sie ist so furchtbar viel-dimensional, dass es manchmal einfach sehr schwer ist nur in der Gegenwart zu sein. Ihm geht es heute genauso, in seinen Gedanken sitzt er schon längst vor dem Dom, und hält Ausschau nach Constanze. Der Tag heute verläuft ohne weitere Geschäfte nur ein paar Spenden, von Passanten im Vorbeigehen.

Um halb fünf endlich, schließt er seinen Laden und geht herüber zum Dom. Er ist zu früh, und erwartet daher nicht, dass Constanze schon da ist. Er will es sich nicht wirklich eingestehen, aber auf diese Weise will er auch einer möglichen Enttäuschung vorbeugen, falls sie nicht ….
Er beobachtet die Leute, es sind viele, die an diesem Tag vorbeikommen. Und nach und nach beginnen ihre Gesichter mit einander zu verschmelzen und sich mit der Erinnerung an Constanzes Gesicht zu vermischen. Die Unsicherheit, ob er sie wirklich erkennen wird, steigt wieder in ihm auf. Er befindet sich nun in der gleichen Situation wie die Besucher, die versuchen ihn zu entdecken. Er versucht einige Kriterien zu entwickeln, wonach er Ausschau halten muss. Die Haarfarbe gehört dazu und dass er erwartet, dass sie wahrscheinlich alleine kommen wird – aber schon das ist unsicher. Nach einer Stunde um halb sechs muss er sich eingestehen, dass er sich vielleicht doch zuviel erhofft hat. Nur um allen Eventualitäten vorzubeugen, geht noch einmal hinunter zur Überwasserkirche und erkundigt sich bei der dortigen Aufsicht, ob vielleicht jemand nach ihm gefragt habe. Leider nicht. Er könnte jetzt sicher noch ein paar Ersatzteile loswerden, aber er ist traurig und hat keine Lust. Niedergeschlagen beschließt er seinen Tag zu beenden.