English Synopsis 28.06.07
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Filch The Beggar will always be sculpture No. 06, but in the future sculpture No. 06 will not be specifically located at the Spiekerhof (remember, Kippenkerl square). This was a decision taken by the organizers to address the many complaints they’ve received from the public about the impossibility of finding The Beggar, about the randomness of his presence at the Spiekerhof. The Beggar, difficult to find? Filch has pictures that prove the contrary. Or do they perhaps prove simply that The Beggar can find you?
Amazingly enough, without any knowledge of the organizers' decision, Filch had already decided that his days at the Spiekerhof were numbered. After he received a recipe for bulgur wheat salad from visiting lady, he really thought business was turning too tacky. And so on Tuesday he decided to move to the side of the Landesmuseum, to the very eye of the SPM07 storm, so to speak.
Thursday begins for Filch with a visit to former point 06 at the Spiekerhof. It looks deserted, and is populated only by the memories of his meetings with people from all over the world, people who were now his friends, thinks Filch. He will never forget Gracie Mansion or the 150 videoartists he met one day. All that is gone now! Searching in his pockets he finds the bus cards he had tried to sell one day, and he decides to use one of them. The bus takes him to the outskirts of the city, outside of The Zone, by his very much admired Mark Wallinger. Seeing the city from a distance, Filch begins to understand.
Filch begins a journey of introspection. What sort of an artwork is he? He then remembers the survey he conducted at the University of Muenster, where he asked 20 students what sort of artwork they would like to be if given the choice. The answers were the following: Picasso's Guernica; the Eiffel Tower; a short piece of music; the film Dead Man; page 89 of Madame Bovary; die großen Kirschen; not worth answering; the Mona Lisa; the Statue of Liberty; a bouquet of flowers; something that moves; Michelangelo’s David; Der blaue Reiter; the flower made out of surf boards at Prinzipalmarkt; a painting by Claude Monet; a poem by Erich Fried; the Barcelona Pavilion; Rilke’s "The Panther"; The Kiss by Gustav Klimt, Brahms’ Die Feldeinsamkeit.
After a visit to the University Library to dig up some information about these gorgeous artworks, Filch starts to wonder what it would be like if he were an image. But he forces himself to put such thoughts aside: knowing himself, if he were an image, all that would matter to him would be how to sell it.
Bettlertagebuch 28.06.07 (Donnerstag)
Filch, der "Beggar" bleibt zwar Skulptur Nr. 6, aber künftig ist diese Skulptur nicht mehr spezifisch am Spiekerhof lokalisiert. Eine Entscheidung, die wohl auch zahlreichen Beschwerden von Seiten einiger Ausstellungsbesucher Rechnung trägt, die meinen, der "Beggar" sei unauffindbar. Wir haben Fotos, die das Gegenteil beweisen. - Oder beweisen sie nur, dass es möglich ist, vom "Beggar" gefunden zu werden?
Das Erstaunliche ist, dass Filch sich genau einen Tag, bevor er von dieser Entscheidung erfuhr, genauer gesagt am Dienstag gegen 11 Uhr vormittags, auf dem Spiekerhof umsah und dachte, dass es an der Zeit wäre, sich neue Plätze zu erschließen, was ihn schließlich an einen Seitenflügel des Landesmuseums brachte. Hier, gewissermaßen im Auge des Sturms, kam er für ein paar Stunden zur Ruhe, packte seine Waren aus und zelebrierte seine neu entdeckte Widerspenstigkeit. Las Zeitung (nicht das Blatt, das er umsonst bekommen hatte, sondern ein liegen gebliebenes Feuilleton) und ließ sich nicht einmal vom Regen beeindrucken. Verkaufte einen Würfel für eine Porträtzeichnung von sich und dem Freund des Zeichners und 2,50 Euro und ging in der Mensa am Aasee einen Eintopf essen.
Der Dienstag war nur ein halber Tag für Filch, denn der erste "Beggar´s Evening" im Metropolis-Theater musste vorbereitet werden und wurde am Mittwoch, 27. Juni 2007, von 17 bis 18 Uhr feierlich (aber natürlich gänzlich unromantisch) zelebriert.
Filch beginnt den Donnerstag mit einem Spaziergang zum Spiekerhof, der ihm heute morgen sehr verlassen vorkommt. Er schaut sich noch einmal genau den Platz an, der für ihn Begegnungsstätte mit Künstlern und Touristen aus aller Welt gewesen ist, dann geht er zurück zum Domplatz. In seinen Taschen findet er plötzlich die Busfahrkarten, die er nicht verkaufen konnte, und beschließt, zumindest eine davon, einmal selbst zu benutzen.
Die Busfahrt kommt Filch, der die letzten Tage und Wochen fast ausschließlich gelaufen ist, zunächst wie ein Selbstbetrug vor: in unglaublichem Tempo ziehen Häuser und Straßen an ihm vorüber, bis er sich weit außerhalb der "Zone" befindet. Aber erstaunlicherweise kommt ihm, bei dieser Geschwindigkeit besehen, alles viel übersichtlicher vor, und er hat sogar das Gefühl, zum ersten Mal annähernd den Aufbau dieser Stadt zu begreifen.
Auf dem Weg zurück in die Stadt kreisen seine Gedanken beständig um ein- und dasselbe Thema: er glaubt, irgendetwas Wichtiges übersehen zu haben, wodurch er seinem Schicksal eine völlig neue Wendung geben könnte. Seit einer Woche ist er Wissen nachgejagt, das er vielleicht schon hat, dessen Wert er aber einfach übersehen hat oder noch nicht kennt. Dann denkt er an die Fragebögen, die er vor einer Woche mit 20 Studenten aus Münster ausgefüllt hat.
Eine Bibliothek scheint ihm der geeignete Platz für eine Auswertung zu sein. Er fragt sich bis zur Universitätsbibliothek durch und befindet sich plötzlich an einem Ort, der ihm bekannt vorkommt: dem Hof vor dem Juridicum, in dem vor fast zwei Wochen die Ausstellung eröffnet worden ist.
Filch blättert die Fragebögen durch: es ist eigentlich egal, mit welcher Frage er anfängt. Er schwankt zwischen den Antworten auf die Fragen "Wenn sie ein Kunstwerk sein könnten, welches Kunstwerk wären Sie gerne?" und "Wie kann man ihrer Meinung nach am schnellsten zu Geld kommen?" und entscheidet, dass die erste für die augenblickliche Umgebung wohl die passendere ist.
Die Antworten lauten: Picassos "Guernica", der Eifelturm, ein kleines Musikstück, der Film "Dead Man", Seite 89 von "Madame Bovary", "die großen Kirschen", "not worth a question", die Mona Lisa, die Freiheitsstatue, ein Blumenstrauß, eine von den "dicken Frauen in Hannover", "etwas, das sich bewegt", der David von Michelangelo, "Der blaue Reiter", die Surfbretter am Prinzipalmarkt, die Freiheitsstatue, ein Bild von Claude Monet, ein Gedicht von Erich Fried, der Barcelona Pavillon, "ein Lotusblatt oder Rilkes `Panther´", "Der Kuss" von Gustav Klimt, "Die Feldeinsamkeit" von Brahms.
Der Computer findet einiges. Filch notiert die Standorte und geht in den Lesesaal im ersten Stock. Von dort aus schickt man ihn ins erste Untergeschoss, wo sich die meisten Bücher befinden, die er sucht. Beim Verlassen der ersten Etage kommt Filch an einen riesigen Globus vorbei, der ihn sehr beeindruckt. Besonders der stille Ozean, dessen Größe, wie er findet, normalerweise einfach unterschlagen wird.
Das Buch "Weltbausteine, Möglichkeiten des Weiterlebens" (3C21508) von Erich Fried ist gerade nicht greifbar, statt dessen findet Filch an seiner Stelle "Marketing - Quo vadis? - Herausforderungen und Entwicklungsperspektiven des Marketing aus Unternehmersicht" (3C21507). Das ist nicht dasselbe, denkt Filch, entschließt sich aber, sich vielleicht später einmal damit zu befassen.
"Der blaue Reiter - Die Befreiung der Farbe" ist der Katalog zu einer Ausstellung, die zwischen dem 11. November 2003 und dem 29. Februar 2004 in Ludwigshafen stattgefunden hat. Filch weiß zunächst nicht, wie er sich die "Befreiung der Farbe" vorstellen soll, aber als er die Bilder sieht, glaubt er zu wissen, was damit gemeint ist. Das Problem ist nur, dass er das Bild "Der blaue Reiter" nicht finden kann. Aber Ludwigshafen, denkt Filch, wo sich das wohl genau befindet; und für einen Moment ist er versucht, noch einmal ins erste Stockwerk zu gehen und auf dem Globus nachzuschauen.
"Monet" von Vanessa Potts mit einer Einführung von Dr. Claire O´Mahony zeigt eine Menge Bilder, die ihn tatsächlich an die Befragte erinnern. Was ihn vor allem fasziniert: die "Seerosen" ("Nymphéas", 1907) auf S. 223 scheinen wirklich auf dem Wasser zu liegen! Sie befinden sich im Musée Marmottan in Paris. "Celimage.sa/Lessing Archive." Ein Grund mehr, irgendwann einmal nach Paris zu fahren, denkt Filch.
Was er selbst wohl als Bild wäre, denkt Filch. Aber dann zwingt er sich, diesen Gedanken möglichst rasch beiseite zu schieben. Nur nicht auf solche Gedankenspiele einlassen, denkt er, sonst passiert Dir dasselbe wie mit dem Würfel, den wolltest Du auch nur verkaufen!
In Fritz Fenzls "Begegnungen mit `Guernica´. Die Picasso-Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle 1956" kann man nur ein Teil des Bildes auf dem Umschlag sehen, ansonsten besteht es aus Fotografien, die Fritz Fenzl von Besuchern der Kunsthalle und ihren Reaktionen auf die Bilder Picassos geschossen hat. Filch ist sehr beeindruckt und beschließt, dass das eines der tollsten Bücher ist, die er jemals gesehen hat.
Frank Zöllners "Leonardos Mona Lisa - Vom Porträt zur Ikone der freien Welt" zeigt das Bild auf dem Cover und innen einen Schwarzweißdruck, unter dem steht: "Leonardo da Vinci, `Mona Lisa´(Porträt der Lisa del Giocondo), Öl auf Holz, 77x53 cm, 1503-1506. Paris, Musée du Louvre".
Es ist kühl im Freihandmagazin und gegen 18 Uhr verlässt Filch das Untergeschoss. Draußen scheint die Sonne. Alles dort unten im Keller, denkt er, noch immer leicht benommen, kommt aus dem Leben hier oben.
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