Muenster
Today
Good morning, Mr. Filch,
Today I have been assigned to keep watch over the "Chinese Whispers." There are not many visitors, and the few there are don’t seem to need any information I could give them. So I have decided to do my own "Chinese Whisper," to try to put some order in my thoughts and in the events of the last couple of weeks.
It’s getting colder and colder every day, and the nights longer and longer. In my dreams, I let myself drift off to faraway places: warmer, mythical places next to the sea.
This made me I think of you and of your plan to drive to Rijeka. When you mentioned it to me, I knew it was not the first time I had heard that name. I have been there, you know. If I am not mistaken, the city was once a beautiful and prosperous place, as one can see from the lost grandeur of the colonial buildings and splendid streets.
These days, however, there are far too many cars over there. It is dirty, industrialized, stinky. But the sea is still there. And you can still gaze at the silhouettes of the Adriatic islands, the countless bays, and the endless, glittering blue.
The birds are already going south, and I am again back to the reality of Muenster, where it is cold and I am freezing. You are not swimming anymore, are you? I had my goggles with me today and I thought of giving them to you, in case you still needed them.
Today, where I am right now, there is something you'd like. It's a sort of deforming mirror. While I wait for the next group of visitors, I make all sorts of faces at it.
What a pity that you are not here with me. The three of us—you, me, and the mirror—could certainly have had a lot of fun together…
Constanze.
18.09.2007
Es ist unerträglich kalt und daher ist Filch sehr gereizt. Noch dazu hat er schlecht geschlafen und ist müde. Der Kaffe am Morgen hilft ein wenig.
Der Chef des fyal informiert ihn, dass Hornsleth, der dänische Künstler, der auch Schöpfer der vier diskriminierenden Buchstaben (fyal) ist, am Donnertag Abend ankommt, um eine neue Ausstellung im Café zu eröffnen. Soll er doch, denkt sich Filch, ich werde ihn zur Rede stellen, wegen der Beleidigung.
Den Laden aufzumachen hat bei der derzeitigen Situation auf den Finanzmärkten eigentlich keinen Sinn – Filch versucht es trotzdem. Doch das einzige Geschäft, das zurzeit läuft ist direktes Anbetteln der Leute. Filch mag das eigentlich nicht, aber was soll man machen...
Nach einer Stunde muss er einsehen, dass der Regen sobald nicht mehr aufhören wird. Dazu kommt der Wind, der von Tag zu Tag kälter wird. Die Lösung wäre eine Regenjacke. Doch dazu fehlt ihm das Geld. Seine Krankenversicherung anzutasten ist ganz gewiss keine Option. Umso schlechter das Wetter wird, desto wichtiger ist es, sie zu haben. Er hat einen anderen Plan: Ratenkauf! Bei Karstadt kann man das machen. Und wenn er – sagen wir mal eine 4-monatige Ratenzahlung für einen Regenmantel vereinbaren könnte, bei der er alle zwei Wochen eine Rate zahlen muss, dann müsse er bis zu seinem Ende genau eine Rate bezahlen – und das kann er sich leisten.
Die Auswahl an Regenmänteln könnte besser sein. Er hätte gerne etwas mehr Extravaganz gewählt, doch bleibt ihm nur die Wahl zwischen 2 Modellen. Er entscheidet sich für das billigere (ca. 40 Euro) und gegen den Mantel in orange. (Wegen des Dalai Lamas – der könnte das als Beleidigung auffassen.) Der Rest seines Einkaufes ist ein Spießrutenlauf. Ratenzahlung für Regenmäntel ist offenbar selten und er wird von einer Kassiererin zur nächsten geschickt, bis er endlich im zentralen Service-Büro angekommen ist. Doch der Ratenvertrag scheitert daran, dass die Werterhaltung eines Regenmantels nicht groß genug ist. Das bedeutet - so wird ihm erklärt, dass einen gebrauchten Regenmantel niemand mehr kaufen will. Bei einem Fotoapparat wäre das anders, aber Filch will keinen Fotoapparat kaufen. Er braucht etwas gegen den Regen.
Na gut, war halt nichts. Und der Dauerregen hat ohnehin gerade ein paar Minuten Pause gemacht als er zum Spiekerhof zurückgeht. Stefan hat eine Nachricht hinterlassen, mit einer Telefonnummer darauf. Filch ruft an und es meldet sich ein Mann mit einem sehr geschäftsmäßigen Ton. Eine Verabredung kommt erst am nächsten Tag zustande, wegen des schwierigen Terminkalenders von Stefan. Bis dahin sind 1,50 € durch den Münzfernsprecher gerauscht. Hoffentlich hat Stefan einen guten Grund für das Treffen. Das Geld wird Filch von ihm zurückfordern. Dann noch eine Verabredung mit zwei Japanerinnen für morgen früh – und wie sie zu erkennen geben, erwarten sie etwas Besonderes. Nun, es wären nicht die ersten Touristen, die Filch enttäuschen würde (er denkt an den Mann, der dachte Filch würde elisabethanische Kleidung tragen).
Der Fernseher im Saturn ist wieder aufgebaut – aber Filch ist mit Phil Collins fertig und es erreicht ihn ein Brief. Einer mit dem er nicht gerechnet hat. Er ist zu einem Papierboot zusammengefaltet und es ist der schönste Brief, den er je gelesen hat. Darin steht:
»Guten Tag Herr Filch,
Als ich heute téléfone arabe hörte und wenige BesucherInnen kamen und kaum eine/r Fragen stellte, kam ich auf die Idee auch eine ’stille Post’ zu verfassen. Es ist sehr ruhig hier heute und so habe ich Zeit meine Gedanken zu ordnen und auch sie letzten paar Wochen Revue passieren zu lassen.
Es wird kälter, jeden Tag – und die Abende werden auch kürzer. Und so lasse ich mich – bis jetzt allerdings nur in meinen Träumen – mit dem Wind in die Ferne, in die Wärme, zu mystischen Orten und dem Meer tragen.
So dachte ich auch an Dich, da du ja erzähltest, möglicherweise nach Rijeka zu fahren. Damals hatte ich gedacht, den Namen schon einmal gehört zu haben. Weißt Du aus welchem Grund? – Ich war schon einmal dort, vor nicht allzu langer Zeit.
Wenn ich mich recht entsinne, ist die Stadt einst ein recht wohlhabender Ort gewesen, dessen Straßen Kolonialbauten zierten.
Heute drängen sich hunderte von Autos durch die engen Gassen und die schwüle, stickige Luft – genährt von der umliegenden Industrie – wirkt beinahe erdrückend. Aber, das Meer, auf dessen Wellen sich große Schiffe und Frachter tragen lassen, lässt sich vom Hafen aus erblicken.
Und in der Ferne lassen sich die Silhouetten der vor der Küste liegenden Inseln der Adria erahnen.
Dennoch zieht es einen schnell südlich, - fernab der Menschen lässt sich die Idylle und Schönheit des Landes besser genießen.
Die Dalmatische Küste entlang – verborgene Buchten an die das klare Meerwasser seine Wellen schlägt. Verlassene Dörfer in denen man sich in eine alte Zeit zurückversetzten kann – und immer wieder die Küste entlang fahrend das glitzernde Meer im Auge – bis man nach Senj kommt, dem Ort an dem die Rote Zora mit ihrer Bande auf der Uskoken-Burg herumstreunt. Von dort oben hat man einen herrlichen Blick über die Küste mit den unzähligen Inseln. Gegenüber dem Hafen des alten Fischerortes liegt die Insel Krk.
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Ein Blick in den Himmel und die ersten Vögel ziehen schon `gen Süden. Auf meiner Haut hat sich Gänsehaut gebildet, die Haare sträuben sich auf meinen Armen gegen die Kälte; ich bin wieder in der Münsteraner Realität angekommen: Ich friere.
Mit deinem Schwimmen ist es wohl eher nichts geworden bei den Temperaturen, oder?
Als ich kürzlich meine Taucherbrille in der Hand hatte, habe ich daran gedacht Dir diese zu geben, denn – ein richtiger Schwimmer braucht wohl auch eine Taucherbrille, nicht war?! Vor allem dann wenn man das Schwimmen erst lernen möchte.
An diesem Ort, an dem ich heute sitze, gibt es etwas, das dir sicherlich gefallen könnte. Man spiegelt sich darin, der Körper wird in die Länge gezogen und man kann ulkige Sachen machen.
Während ich auf die nächsten Skulptur Projekte BesucherInnen warte, vertreibe ich mir die Zeit mit Grimassen schneiden und Fratzen ziehen.
Schade, dass du gerade nicht dabei bist, wir hätten bestimmt was zu lachen....
Constanze«
Die Abendsonne hat die Wolken beiseite geschoben. Das Licht ist wunderschön. Bewegt geht Filch zum Aasee und kommt erst am Ende des Bootssteges zur Ruhe. Ein einziges Boot schwimmt in der Ferne. Er hat seine Gitarre mitgenommen und zum ersten Mal seit langem spielt er wieder seine beiden Lieder.
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