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Mon 06
Aug 2007

Charles Filchstraße

Posted by dora under The Beggar's Diary
1 Comments

The Beggar's Diary, 05.08.2007. - It's Sunday and the streets of Muenster are quiet. Filch is crossing a bridge when he spots the name Johann Nepomuk. So his dear friend (http://beta.thebeggarsopera.org/node/101) has a statue on a bridge named after him… He daydreams about how the people of Muenster will remember Charles Filch. He would be happy with a building, a bridge, a statue, a street, a hill or a park. Just imagine: "Charles Filchstraße".

Yes, Filch is obsessed with his own mortality. His existence has now run half its course (a month and a half to go, more of less!), and as he looks back on what he has done he is not sure he’s satisfied. Time is running out. He has changed his opinion too often to be proud of himself. We could call this period his adolescence: at first he did not want to be on the official map of SP07, then he was happy to be on the map, then he was furious he was taken off the map without being asked (and, as if that were not enough, the organizers wanted him to be "everywhere in the city", which was clearly impossible), then he was put back on the map and he was bored with being on it, and now he just does not know, like so many people in their forties.
He has not fulfilled his dreams. He is going through a midlife crisis.

He wants to sell his belongings and start all over. To give his “stand” a distinguished look, he puts out labels for stuff that has apparently already been sold (it’s a cheap lie, he agrees, but why shouldn't it work?). For instance: a laptop for 0,10 euro, to let people know here was an opportunity they missed, and they must hurry not to miss the ones still available.

He also tries to sell the streetlamp next to him for 15 Euro, but somebody points out to him that you cannot take it with you if you buy it. Filch then suggests an "Erbpacht" (long time lease), meaning that you can consider it yours for a number of years. "Now, you must know that the number of years is psychologically very important", he explains to everyone who wants to hear it. "If you say 15 years (=1 euro per year), a buyer will know that one day he will not own it anymore. But the buyer who takes out a 90 year lease will feel it will be always his. Because he will die still owning the lamppost!" Filch thinks that 15 Euro for 90 years is a very cheap price—basically, it comes down to 16 cents per year. Cunningly, he first writes 25 Euro, then puts it immediately for sale and reminds the customers of his mathematical wisdom.

He meets a family whose two children are art students. Both find his stand very amusing. For the first time, Filch asks people what they think of him (a clear sign of his midlife crisis).
The boy tells Filch about Joseph Beuys (him again!! it is an omen!!) and the difference in the German language between SKULPTUR and PLASTIK (KUNST). By his lights, Filch is SOZIALE PLASTIK.

* Die Soziale Plastik beziehungsweise soziale Skulptur ist eine spezifische Definition eines erweiterten Kunstbegriffs des deutschen Künstlers Joseph Beuys. Er nutze die Begriffe um damit seine Vorstellung einer gesellschaftsverändernden Kunst zu erläutern. Im ausdrücklichen Gegensatz zu einem formalästhetisch begründeten Verständnis schließt das von Beuys propagierte Kunstkonzept dasjenige menschliche Handeln mit ein, das auf einer Strukturierung und Formung der Gesellschaft ausgerichtet ist. Damit wird der Kunstbegriff nicht mehr nur auf das materiell fassbare Artefakt beschränkt.
Das traditionelle Kunstverständnis, in dem der Künstler als Schöpfer von Kunstwerken gilt, wird auf menschliche Tätigkeiten ausgedehnt: jeder einzelne gestaltet die Gesellschaft, Kultur, Politik und Ökologie mit und formt sie plastisch in einem kunsthandwerklichen Sinne.

Whatever that means.

Filch meets a woman who tells him about her Palestinian taxi driver, who drives her around Muenster so she can see the sculptures, and who doesn't know anything about art, but whom she took to see Bruce Nauman's sculpture anyway. She did not mention what effect the sculpture had on him.
She was impressed by Isa Genzken's work and she thinks everybody should see this “symbol” of "child abuse".
This is not the first time Filch has heard this interpretation of the work. What’s Constanze’s opinion on the matter?
"And what about me?" Filch asks.
"I have to get used to the idea of you", she says.

Yesterday, Alina asked about all the things that are happening and which are not mentioned on The Beggar's website.
Filch answered, without thinking: "There is a lot of silence".

He must elaborate on that.















Tue 07
Aug 2007

Hallo Filch, danke schön,

Posted by anonymous user

Hallo Filch,

danke schön, dass du mir heute Vormittag Kredit gewährt hast. Nun möchte ich meine Schulden begleichen ... Ich bezahle mit einer Geschichte aus dem Buch über meine Mexikoreise, welches seit Jahren in meiner Schublade schlummert. Die kleine Episode wachte heute in meiner Erinnerung auf und wünschte hinaus ... Filch begegnen.

Vielleicht lädt sie auch andere Leser der Seite ein, ihre Begegnungen mit Bettlern zu schildern ..?
Alina

/Information vorab - wegen der Feiertage hatte ich Schwierigkeiten, amerikanische Dollars in spanische Währung umzutauschen./

Nach dem Mittagsessen beginnt unser erster Stadtrundgang. Die Erklärungen der Reiseleiterin erreichen mich selten. Wir rennen durch laute Straßen und haben praktisch keine Zeit, uns umzusehen. Zu viele Eindrücke stürzen auf mich ein. Nur der Palast und das imposante Postgebäude bleiben im Gedächtnis. Später ein Platz vor einer alten Kirche. Der stehe in irgendeinem Zusammenhang mit dem Lebensrest des letzten Aztekenkaisers. Da halten wir an. Isabel ärgert sich, dass einige in der Kirche hängengeblieben sind:
- "Das ist unmöglich! Ich habe doch gesagt, dass wir nur vorbeischauen wollen."
Die ist heute komisch ... Nur vorbeischauen. Hätte sie gesagt - Wir treffen uns in zwei Minuten am Ausgang - wäre alles klar.
Wir warten auf die Nachzögler an einer Kreuzung mit der Fußgängerzone. An einen Betonkübel mit Blumen gelehnt sitzt auf dem Bürgersteig ein kleiner Junge und spielt Akkordeon. Fünf Jahre alt, sechs? Ich bewundere ihn. Der ist gut ... Fast geistesabwesend spielt er. Man könnte glauben, dass seine Finger ganz allein für ihn arbeiten, während seine Aufmerksamkeit dem Straßengeschehen gilt. Neben ihm steht seine kleine Schwester mit einem alten Hut in der Hand. Sie geht langsam zwischen uns umher. Schaut ab und zu mal auf. Eine zarte Scheuheit. Kein Bettlerblick. Wenn sie zu mir hinaufschaut, schüttele ich mit Bedauern den Kopf. Verdammt, ich habe immer noch keine Pesos. Sie fühlt sich nicht verletzt; geht einfach zum Nächsten hin. Ein wunderbares Wesen. Diese Ruhe ... Nach der Runde stellt sie sich wieder neben ihren Bruder und strahlt weiter diese kostbare Weichheit, obwohl keine einzige Münze in ihrem Hut landete. "Oh, nein, das kann man so nicht stehenlassen!"
Ich greife in meine Brusttasche, ziehe schnell einen 5-Dollarschein und lege ihn in den Hut. Sie schaut mich kurz an, in den Augen lese ich fragende Verwunderung. Während es mir durch den Kopf schießt - "Oh Gott, sie weiß nicht, dass es auch Geld ist!" - gleitet ihre freie Hand flink in den Hut und verschwindet mit dem Schein unter der Strickjacke. Es jubelt in mir: "Sie kennt es doch!"
Nun steht sie da, eine Spur mehr scheu als zuvor. Jetzt fällt sie heraus aus ihrer Ruhe. Sie sucht nach Ausdruck, hinter dem sie ihre Gefühle verbergen könnte. Angst um den Schatz? Verlegenheit? Schamgefühl? Einige aus meiner Gruppe verfolgen ja die Szene und lachen dabei. Sie steht da; immer mehr verspannt. Sie scheint, ein großes Problem zu haben: Was mache sie bloß mit dem großen Schein?
Das werde ich nie erfahren - wir ziehen weiter.
Später muss ich mir von Isabel anhören: "So viel Geld! Der Vater der Kinder muss dafür eine Woche schuften! Das demoralisiert und zerstört Familienstrukturen, wenn Kinder so viel nach Hause bringen. 10 Pesos wären absolut genug."
Das interessiert mich nicht. Ich bin so glücklich über die Begegnung. Ich gäb' viel dafür, das Mädchen wieder zu treffen.
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