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English synopsis 02.07.2007
Terrible day. Nothing turned out well. He seems to have lost all energy and ideas. The weather certainly is not helping much: it rains non-stop. And yet, it had not started out too badly. He had walked to the city full of energy, and determined to increase his prominence he had gone from one Muenster Sculpture Projects info point to another to tell people where they could find him in the afternoon. He had envisioned crowds waiting for him as he made his glorious entrance at the appointed time and place: The Petting Zoo, a work of Mike Kelley’s for SPM07, located next to the main train station.
A few complications in the course of the day meant that he finally arrived at The Petting Zoo half an hour late. It was, however, painfully clear to him that no one had missed him. He found the zoo a beautiful place and he decided just to sit down and contemplate, but, even then, he did not manage to be at peace with himself: he constantly imagined someone interviewing him and asking: "So what do you do in this exhibition?", to which he would reply: "I wait". That is absolutely not acceptable.
So lives Filch, The Beggar, entangled in contradiction and doubt: on the one hand wanting to be the avant-garde sculpture able to stand next to Mark Wallinger’s Zone, on the other hand wanting to be admired and loved as a human being and citizen of Muenster, and, on top of that, wanting to be left alone with his thoughts. And if that were not enough, he is writing this diary which he is not even sure someone is reading.
Even though he is carrying his No. 06 quite visibly, people ignore him completely.
Then a woman asked him for the way to the Domplatz: he accompanied her and for his service he received 2 euro. In the Domplatz there was a party, velo lounge, celebrating one of the sculptures of Muenster Sculpture Projects. With a bitter smile he bought a cold beer, giving away his entire day’s income: 2 euro.
(scroll down for media)
ps. He remembers suddenly that Brecht had written quite a terrible end for his character, Filch. Suddenly panicking, he runs to the Thalia bookshop to find out what awaits him.

Bettlertagebuch 02.07.2007 (Montag)
Filch ist gereizt – die Nerven liegen blank. Es ist ein Tag an dem so überhaupt nichts glücken will. Er scheint seinen Geschäftssinn fast vollkommen verloren zu haben, er ist müde und zweifelt zunehmend an dem Sinn seiner Existenz. Das Wetter tut sein übriges. Doch der Reihen nach. Es hat gar nicht so schlecht angefangen, heute Morgen. Es beginnt damit, dass er eine Plüsch-Puppe findet. Auf dem Weg in die Stadt ist ihm klar, dass er wieder anfangen muss Geld zu verdienen. Er will endlich zum Sprung ansetzen. Nach vorne kommen, etwas bewegen. Seine Strategie scheint ausgereift. Zunächst einmal will er invertieren, nicht in Geld sondern in Marketing. Getreu dem Motto „Even a bad news is a good news“ oder wie ein Freund von ihm vor langer Zeit einmal sagte: „Es gibt keine guten oder schlechten Zeitungskritiken. Es gibt nur einspaltige Artikel, zweispaltige Artikel, dreispaltige ohne Foto und dreispaltige mit Foto“. Und er will den Dreispalter mit Foto – im übertragenen Sinne natürlich. Also läuft er den ganzen Vormittag durch die Stadt von einem Informationsstand zum nächsten um zu verbreiten, dass der Beggar heute ab drei in der Nähe des Streichelzoos sein wird. Beeindruckt von den Einkünften der Straßenmusiker hat er heute seine Gitarre mitgenommen. Unter den münsteraner Straßenmusikern hat es ihm besonders einer angetan. Ein hagerer Mann mit dünnem, langem, grauem Haar und einem fast genauso langem Bart. Die Haut ist wettergegerbt und hat beinahe ebenso viele Falten wie die von Robert Redford. Doch seine gesamte Erscheinung ist eher ein Mischung aus Almöhi und dem Undertaker aus den Lucky Luke Comics ist. Er spielt als Ein-Mann-Orchester gleichzeitig ein Banjo, einen Schellenkranz, die Blues Harp, ein Kazoo, und tritt obendrein noch mit dem rechten Fuß auf ein Becken, um den Rhythmus anzugeben. Vor ihm, in dem Koffer seines Banjos, liegt ein großer Haufen Münzen. Filch versucht unauffällig die Ein- und Zweieuromünzen zu zählen. Als er bei siebzig ankommt wird ihm schwindelig.

Als er an der Uhr nahe der Dresdner Bank vorbeikommt (Filchs großes Problem ist, dass er sich keine Straßennamen merken kann) sieht er, das es schon halb drei ist. Bald muss er sich zum Streichelzoo am Hauptbahnhof aufmachen. Doch zuvor sucht er noch eine Telefonzelle um die Blutspende-Nummer von gestern anzurufen. Ab hier scheint alles schief zu laufen: Blutspenden kann man beim Roten Kreuz nur mit Personalausweis. Eine vernünftige Begründung kann ihm die Dame am Telefon nicht nennen. Sie müssten ihm ja sagen, wenn sie eine schlimme Krankheit in seinem Blut fänden. (Sie scheut sich ganz offenbar das Wort AIDS auszusprechen.) Kein Problem antwortet Filch, sie solle den Brief einfach an das Landesmuseum schicken und seinen Namen mit auf dem Kuvert vermerken. Das käme dann auf jeden Fall bei ihm an. Nein, das ginge nicht, ist die Antwort der Dame und weitere Argumente bleibt sie ihm schuldig. Dann findet Filch noch heraus, dass es beim Roten Kreuz nicht einmal Geld fürs Blutspenden gibt. „Bei uns ist das eine echte Spende“ hört er die Dame sagen und dass sie sich moralisch all den anderen Blut-Geschäftemachern überlegen fühlt, wird in ihrer Stimme mehr als deutlich.
Nun setzt ein so heftiger Platzregen ein, dass es sogar durch seinen Regenschirm hindurch regnet. Filch findet in dem Eingang eines Bürohauses, direkt gegenüber des Domes Unterschlupf. Dass es sich dabei um die Verwaltung der städtischen Wasserversorgung handelt, empfindet er als einen fadenscheinigen Kalauer der Wirklichkeit. Um sich die Zeit zu vertreiben packt er seine Gitarre aus und beginnt zu spielen. Sein Repertoire umfasst zwei Lieder. Zum einen Holliday von der Scorpions und zum anderen Still Got The Blues von Gary Moore. Während er so durchnässt spielt und in den Regen schaut kommt er sich vor wie ein verarmter Klaus Meinel, der im Zwielicht unter einer Straßenlaterne steht und Wind of Change pfeift. Die Passanten, die sich zu ihm gesellen heucheln Mitleid. Sollen sie doch!

Eine halbe Stunde zu spät kommt Filch am Steichelzoo an. Niemand hat ihn vermisst – wird ihm schmerzlich klar. Der Streichelzoo ist eine Art fest gebautes Zirkuszelt in dem drei Videoleinwände hängen auf denen Tropfsteinhöhlen und Bilder die ein wenig nach Grand Canyon aussehen erscheinen. In der Mitte steht eine Frauenfigur aus Salz an der eine Ziege leckt. Weitere Tiere: 1 Esel / 2 Zwergponies / 3 weitere Ziegen darunter eine Mutter mit Jungem und einige schwarz-weiße Hühner. Die Atmosphäre ist sehr beruhigend. Filch liebt Tiere und er setzt sich in eine Ecke und beobachtet, wie ein Anderer eine Ziege streicheln will, die Ziege aber nichts davon hält, als zunächst der Esel und dann nach und nach die Ziegen zu ihm kommen und seine Hand lecken. Das hat er als Bettler gelernt: Er kann warten. Heute Morgen hat er in einem Radiosender (er erinnert sich nicht mehr wo das war) den Satz gehört“: „Man muss der Zeit Zeit geben“. Eigentlich eine sehr schöne Situation, doch seine Gedanken sind trübe. Wenn er bei einem Vorstellungsgespräch nach seinen Fähigkeiten befragt würde, wie würde es ankommen, wenn er sagte: „Ich kann warten“?
Er beschließt von nun an Filchs-Tages-Skulptur-Tipps in seinem Tagebuch zu veröffentlichen.

Sein erster Tagestipp: DER STREICHELZOO AM HAUPTBAHNHOF.

Der Rest vom Tag ist schnell erzählt. Er baut seinen Laden in der Toreinfahrt zum Streichelzoo auf (dort findet er ein Warndreieck) und als es aufhört zu regnen, verlegt er ihn an die Hauptstraße davor. Geldeinahmen – Fehlanzeige. Die Besucher der Ausstellung ignorieren ihn vollständig trotz seines engagierten Gitarrenspiels. Die Baybypuppe tauscht er mit drei Teenager-Punks gegen eine Zahnbürste, von der ihm versichert wird, sie sei ungebraucht. Weitere Einnahmen: Drei trockene Scheiben Toast und 50 Cent von einem Franzosen, dem Filchs avantgardistische Improvisationen offenbar gefallen.
Ein einziges Gespräch führt er heute, mit einem Mann der eine sauber zusammengefaltete Plastiktüte in der Jackeninnentasche trägt, ihm ca. 30 Minuten lang erzählt wo er war, als der Regen losging und daraufhin ihn mit Kulturpessimismus der schlimmsten Art zukübelt. Fazit: die Welt war schon immer schlimm und sie wird immer schlimmer.

Deshalb ist Filch gereizt. Er will nicht der mentale Abfalleimer von schwarzsehenden, Tüten zusammenfaltenden Stadtneurotigern sein, die ihm nicht mal seine Tüte abgeben, weil sie angeblich zu wenig wert ist! Etwas muss sich ändern und zwar schnell. Er will sein Schicksal herausfordern und unbedingt wenigstens einen guten Gedanken erzwingen. Wenn er ihn schon nicht selber haben kann, sollen ihn die Anderen ihm doch erzählen. Er bastelt sich ein neues Schild mit der Aufschrift: „Wegen zunehmend trüber Gedanken würde ich mich SEHR über eine positive Geschichte von Ihnen freuen“. Und um sicher zugehen, verstanden zu werden, schreibt er es gleich noch mal auf Englisch darunter. Er will damit am Hauptbahnhof spielen, doch sein Bettlerschicksal (in Gestalt eines Wachmanns) verjagt ihn bevor er sich richtig aufgebaut hat. Vor dem Metropolis Kino findet er Unterschlupf. Doch den gesamten Abend lang keine einzige positive Geschichte. Was ihm auffällt: Es sind ausnahmslos Menschen mit Krankheiten und Behinderungen, die er mit seiner Gitarre begeistert. Darunter ein Mann im elektrischen Rollstuhl mit holländischer Zulassungsnummer (Filch fragt sich, ob er wirklich den ganzen Weg von Holland im Rollstuhl gefahren ist) und ein Türke mit Torretsyndrom, der von einem Freund begleitet wird, der sich fortwährend für seinen Kumpel entschuldigt.

Filch will schon aufgeben, als sich endlich das Schicksal wandelt. Eine Studentin liest sein Schild und erzählt ihm spontan wie schön sie es fand, vor einigen Tagen im Schwarzwald auf einem Berg zu sitzen und von einer Rasthütte aus auf ein beindruckendes Gewitter zu blicken. Das tröstet Filch und der Scorpions Song geht ihm wieder durch den Kopf. Er steht auf packt seine Sachen ein und Bemerkt, dass er die ganze Zeit vor einem Plakat gesessen hat auf dem steht „Abschied von Morgen – ‚Get outta here’ “.
Auf dem Weg zu seinem Schlafplatz erinnert er sich, dass ja auch in seiner Brecht-Vorlage das Ende so trostlos ist, dass sich der Autor entschließt einfach ein anderes zu erzählen. Er will es genau wissen, und geht in die Thalia Buchhandlung, wo er die Zeilen noch einmal nachschlägt und auf die Rückseite seines Schildes schreibt.

Als er die Buchhandlung verlässt, fragt ihn eine Frau nach dem Weg zum Domplatz. Er begleitet Sie dorthin und erbettelt sich für seine Dienste ganze 2 Euro. Auf dem Domplatz findet gerade die Velo-Lounge statt (eine tägliche Party für SK07 Besucher) und zu seinem Glück kostet ein kaltes Feierabend-Bier genau 2 Euro.





Thu 05
Jul 2007

Nach der Lektüre von 2

Posted by anonymous user

Nach der Lektüre von 2 Tagebucheintragungen bin ich andren Sinnes: das anfängliche "???" ist großer Erheiterung gewichen. Die Eintragungen finde ich enorm gut. Bin gespannt auf weitere Erfahrungen und wünsche natürlich möglichst viele positive. A.Weiss